Hightech aus dem Sauerland

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Hightech aus dem Sauerland

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Phillip Utsch arbeitet seit mehr als 10 Jahren als Profi-Messerschmied, Jan Gierse promovierte zum selektiven Laserschmelzen und arbeitet mit 3D-Druckern. Ihre Idee war ein leichtes Messer, das bei top Schneideigen-schaften trotzdem sehr stabil sein soll.

2020 gründeten die Beiden in Sundern (HSK) UG Tools. So entstanden mit den 3DTi-Modellen die ersten Messer weltweit mit einem Griff aus 3D-gedrucktem Titan. Als die ersten davon auf den Markt kamen, war die Messerwelt begeistert, denn neben einer ausgesprochen eleganten Form verwendet UG Tools für die Klingen den gerade in Mode kommenden Super-Messerstahl MagnaCut. UG Tools hat mehrere Serien im Programm, die sich nach Größe und Klingenform unterscheiden, für den RWJ-Test entschieden wir uns für das Tiny Floe, ein gerade mal 80 g schweres Leichtgewicht mit 10 cm-Drop Point-Klinge, konzipiert als unauffälliger Alltagsbegleiter (EDC) oder leichtes Jagdmesser.

Das Tiny Floe
Mit 10 cm Klingen- und 21 cm Gesamtlänge ist das Floe ein handliches Messer, das sich unauffällig am Gürtel oder in der minimalistischen Steckscheide in der Jackentasche tragen lässt. Die gerade mal 80 g Gewicht (+ 20 g für die Scheide) spürt man überhaupt nicht. Die Klinge ist mit 27 mm Breite und einer Stärke von 2,8 mm auf optimierte Schneideigenschaften ausgerichtet und ab Werk sehr scharf geschliffen. Als Klingenstahl wird MagnaCut verwendet, von UG-Tools auf 65 HCR gehärtet.
MagnaCut ist zwar auf hohe Härte ausgelegt, aber mit 65 HCR sind die Möglichkeiten dieses Stahls auch völlig ausgereizt. Ob etwas weniger besser wäre, ist Glaubenssache und sorgt für Diskussionen unter Messer-Experten. Das Klingen-Finish ist ein mattes Stonewashed – völlig lichtreflexfrei.   

Was kann Magna-Cut?
MagnaCut ist ein ganz neuer pulvermetallurgisch hergestellter Premium-Stahl, der speziell für Messer entwickelt wurde. Urheber ist Dr. Larrin Thomas, Stahl-Experte und Sohn des bekannten Damastschmieds Devin Thomas. Er betreibt den Blog Knifesteelnerds, auf dem er regelmäßig über Klingenstähle und ihre Eigenschaften schreibt. Larrin Thomas wollte einen ganz neuen Messerstahl schaffen, der hohe Zähigkeit mit feiner Mikrostruktur und guter Schärfe vereint und dabei auch noch korrosionsbeständig ist. Seine wichtigsten Legierungselemente Niob und Vanadium bilden feine Karbide im Stahl, die für hohe Härte und Schnitthaltigkeit sorgen. Niob erhöht die Zähigkeit, ohne die Korrosionsbeständigkeit zu beeinträchtigen. MagnaCut ist ähnlich hart und zäh wie CPM-4V – bei deutlich höherer Korrosionsbeständigkeit. Vanadium verbessert die Schärfe des Stahls, ohne seine Zähigkeit zu verringern. Übrige Elemente (Chrom, Molybdän, Mangan, Silizium) tragen zur Korrosionsbeständigkeit und Verschleißfestigkeit bei. Ergebnis ist ein Stahl, der sehr widerstandsfähig gegen Bruch oder Rissbildung ist, selbst bei extremen Belastungen oder Schlägen. Harte Stähle gelten häufig als spröde – nicht so bei MagnaCut. Dabei gelang ein ausgezeichnetes Gleichgewicht zwischen Härte und Zähigkeit. MagnaCut ist einer der schnitthaltigsten Stähle weltweit und übertrifft viele andere rostfreie Stähle wie VG-10. In Sachen Korrosionsbeständigkeit liegt er mit CPM-154 oder N 690 gleichauf. Durch seine feine Mikrostruktur eignet er sich auch für dünne Klingen, die eine hohe Schärfe erfordern. MagnaCut hat eine ähnliche Härte und Schnitthaltigkeit wie CPM-20CV, aber eine höhere Zähigkeit und eine leichtere Schärfbarkeit. In Anbetracht seiner Härte (65 HCR) muss natürlich ein Schärfwerkzeug verwendet werden, das härter ist als der Stahl selbst. Durch seine Zusammensetzung hat MagnaCut eine feine Mikrostruktur, die Schärfen im Vergleich zu Stählen mit ähnlichen Eigenschaften in puncto Verschleißfestigkeit erleichtert. Von dem neuen Superstahl wird man daher in Zukunft sicher noch eine Menge hören.

Griff aus 3D-gedrucktem Titan
Die wirkliche Innovation der UG Tools sind ihre Griffe aus dem 3D-Drucker. Sie werden aus Titanpulver in einem selektiven Laserschmelzverfahren (SLM) schichtweise aufgebaut. Dadurch lassen sich hochkomplexe Geometrien herstellen. Der 3D-Druck sorgt für eine angenehme samtige Oberfläche, die sich leicht rau anfühlt. Toller Nebeneffekt ist natürlich das geringe Gewicht eines solchen Griffs – gerade mal 30 g. Damit das Gesamtgewicht möglichst gering bleibt, investierten Utsch und Gierse viel Zeit in Stabilitätstests, um herauszufinden, wie weit die Angel ins Griffstück reichen muss. Am Ende blieb das Messer selbst bei wenigen Zentimetern noch stabil. Klinge und Griffstück werden exakt angepasst und miteinander verklebt. Der Griff ist ergonomisch sehr gelungen, seine Colaflaschen-Form liegt angenehm in der Hand und man kann ihn drehen und wenden, ohne dass es irgendwo drückt. Obwohl er ziemlich klein ausfällt, füllt er die Hand gut aus, die Länge ist ausreichend. Am Griffende liegen zwei Öffnungen, durch die man ein Lanyard fädeln kann. Dahinter ist der Griff aber zu, es gibt also keine Öffnung ins Innere. Titan ist als Griffmaterial sehr interessant, neben seiner Robustheit und Unempfindlichkeit gegenüber Umwelteinflüssen sind besonders die geringe Masse und schlechte Wärmeleitfähigkeit vorteilhaft. Zunächst fasst es sich kühl an, kommt aber sehr schnell auf Handwärme, die es auch hält. Das strukturierte Floe-Design der Oberfläche sieht nicht nur toll aus, es greift sich auch gut und ist sehr rutschfest, auch mit nassen Händen.

Minimalistische Scheide
UG Tools bietet mehrere Scheiden an, dem RWJ-Testmesser lag die Basic-Scheide bei. Auch die Scheiden inkl. Gürtelschlaufe werden im 3D-Drucker aus PA 11 (Polyamid) produziert und sind sehr passgenau. Die Gürtelbreite lässt sich durch Entfernen des Einschubs von 41 auf 51 mm erweitern. Die Scheide hat eine Öse für 4 mm Paracord, wodurch sich das Floe auch gut im Nacken (Neckknife) tragen lässt. Durch eine Drainage-Öffnung läuft eingedrungenes Wasser ab, der Ziehwiderstand lässt sich über eine Stellschraube justieren. Die Basic-Scheide sitzt sehr hoch am Gürtel und ist nur so groß wie absolut nötig – viel weniger Scheide geht kaum. Das Messer lässt sich mit der Scheide, die kaum größer ist als die Klinge, auch sehr angenehm in der Jackentasche tragen.

In der Praxis
Wir waren gespannt, wie sich der 80 g-Winzling im Alltag bewähren würde. Im Revier verrichtete das RWJ-Testmesser alle Arbeiten problemlos und erwies sich als robust und korrosionsbeständig. Natürlich darf man eine so auf höchste Schneidfähigkeit ausgelegte und maximal gehärtete Klinge nur für Schneidarbeiten, also nie zum Hebeln oder Stemmen verwenden. Die Schnitthaltigkeit ist enorm, selbst nach 10 Rehen und Sauen war die Klinge immer noch ausreichend scharf für normale Arbeiten. Man sollte sie aber dennoch regelmäßig nachschärfen – deutlich weniger Aufwand als eine wirklich stumpfe MagnaCut-Klinge wieder zu schärfen. 
Fazit: Die Griffgestaltung ist sehr praxisgerecht, man kann mit dem Floe in verschiedensten Positionen arbeiten, ohne dass es in der Hand unangenehm drückt oder kneift. Auch als Brotzeitmesser, beim Öffnen von Paketen oder Obst-Schälen macht es eine gute Figur. Es fällt nicht unter das allgemeine Messer-Trageverbot und kann legal mitgeführt werden. Durch sein geringes Gewicht und die minimalistische Scheide trägt es sich sehr angenehm, nach ein paar Minuten vergisst man, überhaupt ein Messer dabei zu haben – ein angenehmer zu tragendes EDC mit feststehender Klinge hatte ich bisher noch nicht am Gürtel. Das Tiny Floe Drop-Point mit MagnaCut-Klinge und Basic-Scheide kostet 290 € – für das ultraleichte Messer mit Klinge aus pulvermetallurgischem High-Tech-Stahl und Titangriff made in Germany sicher nicht zu viel. Norbert Klups