Übern Tisch gezogen

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In Deutschland verschärft sich der Konflikt zwischen Forstwirtschaft und Jägern. Vom Ziel, gemeinsame Lösungen für Wald und Wild zu finden, ist man mittlerweile weit entfernt. Stattdessen wittern einige Hardliner unter den Waldeigentümern die Chance, ihre Maximalforderungen durchzusetzen. Von Felix Höltmann.

Der Wald in Deutschland ist aufgrund von Trockenheit, Stürmen und Schädlingsbefall in einer Extrem-Situation – wir haben in den vergangenen Monaten bereits oft darüber berichtet. Allein in Nordrhein-Westfalen müssen deutlich mehr als 70.000 ha Wald aufgeforstet werden. Der Bund ist bereit, Waldeigentümern dafür viel Geld zur Verfügung zu stellen.

Der Streit eskaliert
Vor diesem Hintergrund eskaliert mittlerweile der Streit zwischen Forst und Jagd. Lange hatten moderate Kräfte auf beiden Seiten versucht, für alle Beteiligten tragfähige Kompromisse zu finden, der Interessen der Forstwirtschaft ebenso beachtet wie Bedürfnisse der Jagd bzw. des Wildes.

Die Jagdverbände gingen auf die Waldeigentümer zu und sicherten eine verstärkte Bejagung des wiederkäuenden Schalenwildes zu. In Nordrhein-Westfalen einigte man sich darauf, an Aufforstungen Rehe einige Jahre intensiver zu bejagen, um Anpflanzungen und Naturverjüngung bessere Möglichkeiten zu geben.

Dazu versprachen die Waldeigentümer im Gegenzug, Wildäsungsflächen, Wildruhezonen und Bejagungsschneisen anzulegen. Diese Vereinbarung sorge allerdings bei traditionellen Jägern für Irritationen.

So sieht es in vielen deutschen Wälder aus - Sturmflächen werden mühsam aufgeforstet (Foto: F. Höltmann).
Allein in Nordrhein-Westfalen müssen mehr als 70.000 ha aufgeforstet werden, weil Stürme, Trockenheit und Käfer den Wald zerstört haben. Dabei sind Fichten-, aber auch Buchenwälder, massiv betroffen. (Foto: F. Höltmann)

 

Die Jagdverbände setzen darauf, dass Waldbesitzer und Förster im Gegenzug auf Maximalforderungen wie Mindestabschüsse verzichten würde. Doch offenbar wittern Hardliner unter den Waldeigentümern Morgenluft und setzten darauf, in einer bundesweiten Wald-Krise die öffentliche Meinung, die nicht-fachliche Presse und wichtige Politiker auf ihre Seite zu bekommen.

Das Argument, wonach Schalenwild die Wälder der Zukunft auffrisst und deshalb reduziert werden muss, um Wald und Klima zu retten, leuchtete vielen Journalisten und Politikern in der Hauptstadt ein.

Unheilige Allianz
Von einem Kompromiss sind beide Seiten mittlerweile weit entfernt und es verdichten sich Hinweise, dass eine unheilige Allianz aus Vertretern von Forstwirtschaft und Ministerialbürokraten nun Nägel mit Köpfen macht, notfalls auch ohne Jagd und Jäger.

Mit der anstehenden Novelle des Bundesjagdgesetzes wollen sich Waldeigentümer ein scharfes Schwert sichern. So soll es bei Rehen erstmals einen Mindestabschuss geben, der von Grundeigentümern und Jagdpächtern vereinbart wird.

Wird keine Einigung gefunden, kann ein Verbissgutachten durch eine Forstbehörde erstellt werden. Wird der Mindestabschuss nicht erfüllt, drohen körperlicher Nachweis, Bußgelder oder Zwangsjagden in Forst-Regie.

Wie viel Verbiss ist zu tolerieren - daran scheiden sich die Geister (Foto: F. Höltmann).
Ein vom Sika-Wild abgeknickter Berg-Ahorn. Wie viel Wild der Wald verträgt, ist seit Jahrzehnten Zankapfel zwischen Förstern und Jägern. (Foto: F. Höltmann)

 

Konfliktlinien
Der Deutsche Jagdverband (DJV) und etwa der Landesjagdverband NRW sind grundsätzlich der Auffassung, dass eine Reduktion der Schalenwildbestände eine Maßnahme zum Gelingen der Aufforstungen ist.

Sie signalisierten gegenüber den Waldbesitzern, dass man mit einer intensiveren Bejagung des Rehwildes an Aufforstungen einverstanden sei, wenn im Gegenzug Wildruhezonen, Äsungsflächen und Bejagungsschneisen angelegt würden. Außerdem wies man darauf hin, dass auch eine Lenkung von Spaziergängern, Wanderern oder Mountainbikern bedacht werden müsse.

Dazu müsse man besonders gefährdete Baumarten wie Douglasie (Fegen) oder Eiche (Verbiss) schützen. Der Forst argumentiert, dass in zu vielen Revieren zu wenig gejagt würde. Das Ziel der Jäger sei, viel Wild im Revier zu haben, um jederzeit Anblick und Jagderfolg zu garantieren.

Was kann das Wild für Stürme und Trockenheit, fragt manch traditioneller Jäger (Foto: F. Höltmann).
Manch Jäger fragt, was das Wild für Stürme und Trockenheit kann. Dass überhöhte Schalenwildbestände den Waldumbau erschweren, liegt aber ebenfalls nahe. (Foto: F. Höltmann)

 

Was stimmt?
Wildbiologen argumentieren, dass die alleinige Fokussierung auf die Reduktion des wiederkäuenden Schalenwildes zu kurz greife und die Probleme verschärfe. Hoher, kontinuierlicher Jagddruck und Bewegungsjagden im Januar erhöhen Wildschäden.

Wer ständig im Revier ansitzt, macht Wild heimlich und erhöht Verbiss und Schälschäden. Bewegungsjagden im Januar kosten sehr viel Kraft, weil der Stoffwechsel bereits stark heruntergefahren ist. Diese Energie wird dem Körper durch erhöhtes Verbeißen und Schälen zugeführt, was zu weiteren Schäden führt.

Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass es in manchen Revieren überhöhte Schalenwildbestände gibt. Einige traditionelle Jäger schonen gut veranlagte Jährlingsböcke und greifen zu wenig in die Jugendklasse ein.

Auch weibliche Rehe werden mancherorts zu wenig bejagt. Im Frühjahr ist die Ansprache von Schmalrehen unter dem Aspekt des Muttertierschutzes schwierig, im September werden Kitze nicht erlegt, weil sie noch zu schwach sind und Böcke im Bast zu erlegen, gilt aus traditioneller Sicht als Frevel.

Allerdings hat die Bejagung im April und Mai viele Vorteile. Biologisch ist der April gut geeignet, um Rehe zu bejagen - die niedrige Vegetation ist noch nicht so dicht, was die Sichtbarkeit erhöht. Außerdem sind Rehe im April sehr aktiv.

Weil im April und Mai Jährlinge von älteren Böcken vertrieben und durch Verkehrsunfälle zu Tode kommen, sollte man solche Jährlinge rechtzeitig erlegen. Auch zur Vermeidung von Fege-Schäden (besonders an einem der „Hoffnungsträger“ der Wälder der Zukunft, der Douglasie) sollte man Rehe im April bejagen.

Dennoch wird der Waldumbau mit der Büchse allein sicher nicht funktionieren - es liegt auf der Hand, dass man gefährdete Arten wie Eiche oder Douglasie mindestens mit Einzelschutzmaßnahmen unterstützen muss – was allerdings bislang nicht staatlich gefördert wird. Anpflanzungen und hoffentlich bald auch jagdliche Einrichtungen schon.

Wer spielt um die Milliarden mit ?
In Deutschland gibt es etwa zwei Millionen Waldbesitzer:

- Staatswald macht etwa 32,5 Prozent der Fläche aus (29 % Länder, 3,5 % Bund),
- Körperschaftswald von Gemeinden und Zweckverbänden macht rund 19,4 Prozent der Fläche aus,
- Privatwald (48 Prozent) gehört etwa zwei Millionen Besitzern (im Schnitt 3 ha) und Waldgenossenschaften.

In NRW macht der Privatwald 66,8 Prozent aus - bundesweiter Spitzenwert.

Vertreten werden Waldeigentümer u. a. durch die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände AGDW. Sie bündelt Waldbesitzerverbände der Bundesländer, wie dem Waldbauernverband NRW. Es können nur Verbände, nicht Einzelpersonen Mitglied der AGDW sein.

Im Deutschen Forstwirtschaftsrat (DFWR) sind verschiedenste Institutionen organisiert - von  Landesforsten, Städte- und Gemeindebünden über forstliche Hochschulen und Ministerien bis Verbänden wie dem Bund Deutscher Forstleute oder dem Deutschen Bauernverband.

Eine wichtige Rolle spielt auch die Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW), die v. a. den Dauermischwald propagiert. Dabei gehts um eine Abkehr von der Kahlschlagwirtschaft, dazu sollen drastisch reduzierte Schalenwildbestände ausreichende Naturverjüngung ermöglichen und dazu beitragen, dass der Baumbestand nicht entmischt wird. Das droht, wenn Konzentrat-Selektierer wie Rehe gezielt seltene Baumarten verbeißen und ohnehin häufige übrig bleiben.

Der Ökologische Jagdverband (ÖJV) entstand 1988. Die Gründer warfen den traditionellen Jagdverbänden vor, für jagdliche Ziele massive Waldschäden in Kauf zu nehmen.

Diese Verbände setzen sich für eine starke Reduktion der Schalenwildbestände ein. Unterstützung erhalten sie dabei auch von Naturschutzverbänden wie dem NABU.

Der Deutsche Jagdverband (DJV), in dem die Landesjagdverbände (LJV) organisiert sind, sieht sich als Vertreter der traditionellen Jagd. Der DJV legt großen Wert auf Waidgerechtigkeit, also den Respekt vor jeder einzelnen Kreatur, dem bei der Jagd Rechnung getragen werden muss.