„Keine gesicherten Daten für eine Entnahme“

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„Keine gesicherten Daten für eine Entnahme“

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Ingo Brohl ließ im Kommunalwahlkampf um das Landratsamt im Herbst 2020 im Kreis Wesel aufhorchen: er persönlich sehe das Verhalten der  als „Gloria“ bekannten Wölfin, die rund um Schermbeck für zahlreiche Nutztier-Risse verantwortlich gemacht wird – Schafe, Damtiere und mittlerweile auch zwei Shetland-Ponys - als problematisch an und würde eine Entnahme, so sie denn fachlich und rechtlich möglich sei, auch entsprechend bescheiden.

Diese Aussage bestätigte er nach der Wahl, woraufhin die BILD-Zeitung am 6. November 2020: „Landrat will Wölfin abschießen lassen“ titelte. Seitdem sind etliche Wochen ins Land gegangen, passiert ist aus Sicht der Halter von Weidetieren und Hobby-Tierhaltern in der Region … nix. Außer, dass die Wölfin und ihre Sippe (mittlerweile gehen Experten von einem Kleinrudel aus) weitere Nutztiere gerissen haben, teilweise nach Überwindung als „wolfssicher“ geltender Zäune. Wochenblatt und RWJ führten mit dem Weseler Landrat Ingo Brohl ein Gespräch zum Stand der Dinge.

Zu Beginn erinnerten wir Ingo Brohl an zwei Versammlungen im Herbst 2019, bei denen hunderte besorgter Bürger ihre Bedenken und Sorgen wegen der Ausweisung eines Wolfsgebietes rund um Schermbeck formuliert hatten (Wochenblatt und RWJ waren dabei). Konfrontiert mit der Aussage, dass bis heute nahezu all‘ diese Befürchtungen Wirklichkeit geworden wären, wehrte sich Landrat Brohl, dabei von „der Bevölkerung“ zu sprechen. So gäbe es neben besorgten Nutztierhaltern eben auch viele Bürger, die sich für den Schutz der Wölfin einsetzten. Jede dieser Gruppen dürfe erwarten, dass er als Landrat sie objektiv anhöre.

Vom Bürgerforum zur Bürgerwehr?

In Niedersachsen, wo es viel mehr Wölfe und Probleme gibt, scheint die aktuelle Situation spürbar zu eskalieren. Nach dem legalen Abschuss zweier Wölfe in den vergangenen Wochen lieferte ein Landwirt in diesen Tagen ein gerissenes Kalb in der Toreinfahrt einer Wolfsberaterin ab – diese könne ihm ja dann das Ergebnis der genetischen Untersuchung mitteilen! Wir wollten von Ingo Brohl wissen, ob er nicht befürchte, dass auch im Kreis Wesel eine solche Eskalation drohe, wenn die Landbevölkerung das Gefühl habe, mit ihren Sorgen und Nöten allein gelassen zu werden. Kommt also nach dem sehr aktiven „Bürgerforum Gahlen“ dann als nächste Stufe eine „Bürgerwehr“?

Brohl unterstrich, der Umgang mit der Wölfin werde „rechtsstaatlich“ geregelt – und ihm lägen derzeit keine belastbaren („validen“) Daten vor, die für eine Entnahme sprächen. Wölfe seien durch Bundesnaturschutz- und EU-Recht streng geschützt. Solange sich an dieser Faktenlage (gestützt auf ein aktuelles Gutachten des NRW-Umweltministeriums, wonach die Schermbecker Wölfin nicht besonders auffällig sei) nichts ändere, wolle er auch ganz bewusst „keine falschen Erwartungen schüren“. Die Situation im Kreis Wesel sei zudem extrem emotional und polarisiert. In dem Kontext kritisierte Brohl die Verbreitung von Videos in sozialen Netzwerken, die erwiesenermaßen gar nicht aus der Region (in dem Fall Hamminkeln) stammen würden. Sein eigener Austausch mit den Akteuren im Kreis Wesel sei aber sehr konstruktiv. Dazu zähle auch der Austausch mit dem Gahlener Bürgerforum.

Wer könnte die Wölfin überhaupt entnehmen – vorausgesetzt, man käme zu diesem Entschluss?

Brohl ist die Stellungnahme von Alfred Nymphius, dem Vorsitzenden der Kreisjägerschaft Wesel, bekannt wonach dieser nur jedem Jäger abraten könne, sich an einer potenziell möglichen Erlegung zu beteiligen. Die Frage, wer im Falle einer genehmigten Entnahme, einen Wolf letztlich erlegen soll, stellt sich laut Brohl derzeit im Kreis Wesel nicht. Der Kreis, so Brohl weiter, setze aktuell vorrangig auf die Verstärkung des Herdenschutzes, wobei er sich durchaus bewusst sei, dass wolfsabweisende Zäune nur bedingt eine Lösung seien und sowohl den normalen Wildwechsel als auch die Wanderschafhaltung erschwerten. Auch sogenannte Herdenschutzhunde seien kein Allheilmittel, da sie nicht in jeder Situation geeignet sind. Zudem sei auch hier zu beachten, dass man keine Tiere mit einer „kurzen Zündschnur“ gebrauchen könne, da ansonsten problematische Situationen beispielsweise mit Spaziergängern mit Hunden drohten. Als aktuelle Maßnahme zur Unterstützung der Weidetierhalter nannte Brohl die Einrichtung einer Regionalstelle Herdenschutz beim Tierzuchtberater des Kreises Wesel.

Welche Eskalation könnte drohen?

Landrat Brohl sieht die reale Gefahr, dass es durch Kontakte zwischen der Wölfin und Haushunden entweder zu toten Hunden … oder wie schon anderswo zu unerwünschtem Nachwuchs (sog. Hybriden) kommen kann. Daher appellierte er an die Bevölkerung, Hunde an der Leine zu führen und nicht frei herumstreunen zu lassen. Die Beachtung der Anleinpflicht sei auch im Sinne der Landwirtschaft und anderer Wildtiere wichtig.

Zwar gebe es dazu bislang keine Erkenntnisse, aber eine weitere, nicht auszuschließende Gefahr bestehe darin, dass die Wölfin, die schon mehrmals hohe, selbst elektrifizierte Zäune überwand, diese „Spezialkenntnisse“ an das ganze Rudel weitergeben könne – mit unabsehbaren Folgen.

Wer entscheidet eigentlich über die Entnahme?

„Am Ende entscheidet die Kreisverwaltung und damit der zuständige Landrat – also ich“, so Brohl. Allerdings erst nach umfassenden fachlichen Stellungnahmen, u.a. durch die Experten des Landesumweltamtes und des Umweltministeriums. Und solange diese so seien, wie sie sind, sehe er keine Basis für eine rechtssiche Entnahmeentscheidung. Eigentlich sei der Landrat aber auch die falsche Stelle für solche eine Entscheidung, vertrat Brohl die Auffassung. „Denn der Wolf hält sich nicht an Kreisgrenzen“. Zudem verwies Brohl darauf, dass ein versagter Antrag auf Entnahme aktuell auch in einem Gerichtsverfahren überprüft werde.

Wie soll es weitergehen, was muss eigentlich noch alles passieren, bevor man zu einer anderen Einschätzung kommt?

Landrat Brohl verwies darauf, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gäbe – und warb für die sorgsame Beachtung der „Grautöne“. So gäbe es im Kreis Wesel neben Wolfsschützern und betroffenen Nutztierhaltern auch eine Gruppe, in der beide Seiten im gemeinsamen Dialog nach Lösungen suchten. Brohl unterstrich zugleich den ländlichen Charakter des Niederrhein-Kreises, den es zu erhalten gelte. Dazu gehöre – nicht nur aus Gründen des Deichschutzes – die Weidetierhaltung. „Wir sind zudem ein Tourismusgebiet und wollen die Landschaft mit Schafen, Rindern und Pferden“, betonte Brohl. Und weiter: „Wir wollen Modellregion Ökolandbau werden. Und ich hoffe, dass wir gemeinsam mit den Landwirten das Thema Wolf in den Griff bekommen. Die Landwirtschaft ist prägend für den Kreis Wesel. Und das soll sie auch in Zukunft bleiben. “Daher stehe er im ständigen Kontakt mit der Landwirtschaft – und an ihrer Seite.

Britta Petercord (Wochenblatt)
Matthias Kruse (Rheinisch-Westfälischer Jäger, jagdpraxis.de)