Dramatische Entwicklung in NRW Myxomatose bedroht Feldhasen

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Dramatische Entwicklung in NRW Myxomatose bedroht Feldhasen

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In den letzten Wochen kam es ausgehend vom Kreis Wesel in ganz NRW zu dramatischen Ausbrüchen einer neuartigen Hasenseuche. Die Wildbiologie appelliert daher dringend an alle Jäger in betroffenen Revieren, darauf zu reagieren.

Die Myxomatose ist eine wohlbekannte Erkrankung bei heimischen Wildkaninchen. Vereinzelte Fälle bei Feldhasen wurden ebenfalls bereits in verschiedenen Ländern Europas und auch in NRW beobachtet. Was jedoch in den letzten Wochen passiert, wurde in diesen Dimensionen noch nie beim Feldhasen beobachtet – in immer mehr Kreisen zwischen Rhein und Weser sorgen derzeit seuchenhaft auftretende Myxomatose-Ausbrüche bei Feldhasen zu hohen Verlusten! Die Myxomatose wird durch das MyxomaVirus (MYXV) aus der Familie der Pockenviren hervorgerufen. Erste Ausbrüche der Erkrankung wurden 1896 in Uruguay bei Hauskaninchen dokumentiert.
Sein natürlicher Wirt, das brasilianische Waldkaninchen (Tapeti), zeigt nach einer Infektion kaum Krankheitsanzeichen – ausschließlich reaktionslose Pockenknoten unter der Haut. 1952 wurde das Myxoma-Virus mutwillig nach Frankreich und Australien eingeführt, um dortige Wildkaninchen-Populationen zu dezimieren. Das Virus breitete sich rasch in ganz Europa aus und wies eine Mortalitätsrate von bis zu 100 % auf – jedes infizierte Wildkaninchen verstarb also an einer Infektion! Tatsächlich ging die Wildkaninchen-Population in Europa dieser Zeit um etwa 99 Prozent zurück! In den folgenden Jahrzehnten erholten sich die Bestände durch Anpassungsprozesse zwischen Virus und Wirt (genetische Resistenzentwicklung/Aufbau einer Immunität in einzelnen Populationen/generelle Abschwächung kursierender Virus-Stämme). Bis heute treten bei Wildkaninchen allerdings auch immer wieder Myxomatose-Ausbrüche mit hoher Mortalität auf, v. a. in Populationen mit hohen Dichten und geringer Immunität. Übertragen wird das Virus durch Stechinsekten sowie Körperflüssigkeiten. Der Kaninchenfloh spielt bei Wildkaninchen die Hauptrolle, aber auch Stechmücken sind Überträger. Da im Jahresverlauf die Populationsdichte der Wildkaninchen im Spätsommer am höchsten ist und dann auch (klimatisch bedingt) Hauptsaison der Stechinsekten ist, häufen sich Myxomatose-Ausbrüche bei uns häufig im August und September.

Auch Hasen betroffen
Bislang fanden sich nur sehr selten Nachweise zu Myxomatose bei Feldhasen, erste Ausbrüche wurden in Frankreich und Irland in den 1950ern und zuletzt 2014 in Großbritannien beschrieben, infizierte Hasen zeigten dabei keine oder nur milde Krankheitsanzeichen. 2018 kam es zu einem schweren Ausbruch der Myxomatose beim Iberischen Feldhasen (Lepus granatensis) in Spanien: Die Fälle wurden zwischen Juli und September gemeldet, die Krankheit breitete sich schnell in umliegende Gebiete aus. Die Mortalität lag bei rund 55 %, während Wildkaninchen nicht vermehrt betroffen waren. Die Krankheitsanzeichen unterschieden sich von üblichen Myxomatose-Veränderungen bei Kaninchen: Verendete Hasen zeigten knotige Veränderungen um Maul, Nase, Genital und After, jedoch nicht um Augen und Ohren wie bei Kaninchen. Weiterhin traten Ödeme und Blutungen in inneren Organen (v. a. der Lunge) auf. Durch aufwendige Forschung konnte eine neue Variante des Myxomavirus (ha-MYXV) als Auslöser identifiziert werden. Aufgrund großer Distanzen zwischen den Ausbruchsorten wurden Stechmücken als Überträger vermutet. Die Erkrankung trat auch in den Folgejahren auf und verbreitete sich weiter im Land. In betroffenen Gebieten gingen die Hasenstrecken in den Folgejahren um bis zu 60 % zurück. 

Hasen-Myxomatose in NRW
In den letzten Wochen wurden ausgehend vom Kreis Wesel vermehrt Fälle von Myxomatose bei Feldhasen beobachtet. Durch aufmerksame Jäger vor Ort und die Einsendung verendeter Individuen konnte in den Chemischen und Veterinäruntersuchungsämtern (CVUÄ) schnell eine eindeutige Diagnose gestellt werden. Zudem wurde Bild- und Probenmaterial gesichert, um die Fälle hinreichend zu dokumentieren. Nach einem Aufruf der Forschungsstelle über die zuständigen Behörden und den Landesjagdverband trafen zudem weitere Meldungen aus immer mehr angrenzenden Kreisen ein – neben dem Kreis Wesel waren nach wenigen Tagen bereits die Kreise Borken, Kleve, Krefeld und Bottrop betroffen.

Bestätigte Ausbrüche in NRW
13.8.2024        WES
18.8.2024        BOR
20.8.2024        COE
21.8.2024        KLE
22.8.2024        KR
28.8.2024        BOT
 2.9.2024        VIE
 3.9.2024        RE
16.9.2024        ST
Stand 18.9.2024

Die Forschungsstelle ist derzeit gemeinsam mit den CVUÄ und dem Friedrich-Loeffler-Institut dabei, weitere Diagnostik zu organisieren und einzuleiten, um dem Virus auf die Spur zu kommen – ob es sich um eine neue Variante handelt, die nun vermehrt den Europäischen Feldhasen befällt, wird derzeit mit Hochdruck erforscht. Es gilt nun, aktuell so viele Daten wie möglich zu sammeln, um Rückschlüsse auf den weiteren Verlauf des Geschehens ziehen zu können. Es ist jedoch bereits absehbar, dass die Krankheitsausbrüche sich weiter verbreiten werden (auch in den Osten von NRW und nach Niedersachsen) – vermutlich bis in den Oktober hinein. Es bleibt zu hoffen, dass die Mückensaison ein sehr baldiges Ende findet. Sie hat Wildtieren in diesem Sommer bereits durch  die Blauzungenkrankheit (Muffelwild) und dem Usutu-Virus (Wildvögel) schwer zugesetzt.

Was Jäger jetzt tun müssen
- Es wird darum gebeten, verendete Hasen weiter zu melden (fjw@lanuv.nrw.de), zu bergen und zur Diagnosestellung an die CVUÄ einzusenden (Liste s. Kasten r.) und/oder unschädlich zu beseitigen.
- Es ist stets sinnvoll, wenige gut erhaltene Tierkörper zur Untersuchung zu geben und die restlichen Kadaver aus demselben Gebiet/Revier zu entsorgen.
- Bitte Kadaver nicht im Revier belassen o. vergraben – sie stellen eine Infektionsquelle für andere Hasen dar und können beim Verbleib auf Äckern u. Wiesen zur Entstehung von Botulismus beitragen! (Gleiches gilt für Wildkaninchen.)

Bejagung in betroffenen Regionen einstellen!
Die Hasen-Bejagung sollte entsprechend der Zählergebnisse und der aktuellen Bestandssituation erfolgen. Wo die Hasen-Myxomatose nachgewiesen wurde, sollte auf eine Bejagung verzichtet werden, um der verbliebenen Population zu ermöglichen, sich zu erholen.
- Bitte weisen Sie in jeder Einladung zu einer Treibjagd präventiv darauf hin, dass diese ggf. kurzfristig abgesagt werden muss, sollte in ihrem Revier die Hasen-Myxomatose ausbrechen!
Durch die aktuell rasend schnelle Ausbreitung nach Osten muss leider befürchtet werden, dass die tückische Seuche bis zum Beginn der eigentlichen Treibjagd-Saison Mitte November die Landesgrenze an der Weser erreicht haben wird...

Warum jeder überlebende Hase wichtig ist
Hasen, die eine Infektion überleben, verfügen damit sehr wahrscheinlich über entsprechende Antikörper gegen das Virus. Dies ermöglicht ihnen, auf einen erneuten Myxomatose-Ausbruch mit einer gezielten Immunreaktion zu reagieren – und somit nicht zu erkranken. Da das Virus den Winter in Überträgern und Umwelt überdauern kann, ist jeder überlebende (also nicht erlegte!) Hase mit „geschultem“ Immunsystem wichtig, um die Population für die kommenden Jahre zu sichern! Nur wenn die Hasen genug Zeit haben, sich mit dem Virus auseinanderzusetzen, können wir auf eine Resistenz-Entwicklung ähnlich wie bei Wildkaninchen hoffen. Die Ergebnisse der Zählung (Scheinwerfer-Taxation) im Herbst und den kommenden Jahren sollten wie gewohnt an den Landesjagdverband gemeldet werden. Nur so ist es möglich, die Populationsentwicklung zu beobachten und die Hauptwildart unserer Niederwildreviere auch in Zukunft nachhaltig bejagen zu können.

Keine Hunde-Prüfungen in betroffenen Revieren!
In Revieren, in denen die Myxomatose kursiert, sollte auf die Hundearbeit (einschließlich Prüfungen!) verzichtet werden, um die Hasen nicht unnötig zu beunruhigen (Stress wirkt sich negativ auf das Immunsystem aus).
- Es darf kein Schleppwild aus Myxomatose-Gebieten verbracht werden („Schleppwild-Tourismus“).
- Jäger (und ihre Hunde !) sollten in keinem Fall dazu beitragen, das Virus weiterzuverbreiten!

Massnahmen sind unpopulär – aber Alternativlos
Einige dieser Maßnahmen mögen für manche übertrieben wirken, jedoch muss man sich vor Augen halten, dass es sich dabei um das Auftreten eines neuen Krankheitserregers bei heimischen Feldhasen handelt. Auch die Auswirkungen auf noch vorhandene Wildkaninchen-Bestände sind nicht absehbar. In einer solchen Situation muss jeder besonnen handeln – und im Zweifel Vorsicht walten lassen. Die Forschungsstelle bedankt sich bei allen aufmerksamen und engagierten Jägerinnen und Jägern, die in den vergangenen (und kommenden !) Wochen zur Dokumentation und Untersuchung dieser tückischen Krankheit beigetragen haben! Dieses Engagement der Jäger fördert die Forschung und Aufklärung bei unserem Wild auftretender Erkrankungen und gibt uns die Chance, darauf besonnen und zeitnah zu reagieren!
Dr. Luisa Fischer
Forschungsstelle für Jagdkunde und Wild­schadenverhütung, Pützchens Chaussee 228, 53229 Bonn, Mail: luisa.fischer@lanuv.nrw.de

Veterinäruntersuchungsämter in NRW
CVUA-Westfalen (Standort: Arnsberg), Zur Taubeneiche, 59821 Arnsberg, Tel. 02 34/9 57 19 40
CVUA Münsterland-Emscher-Lippe, Albrecht-Thaer-Str. 19, 48147 Münster, Tel. 02 51/9 82 10
CVUA Ostwestfalen-Lippe, Westerfeldstr. 1, 32758 Detmold, Tel. 0 52 31/91 19
CVUA Rhein-Ruhr-Wupper, Deutscher Ring 100, 47798 Krefeld, Tel. 0 21 51/84 90

- Verpacken in auslaufsicheren Beuteln
- Einfrieren nur in Sonderfällen (schränkt Untersuchung deutlich ein)