Genial – mit kleiner Macke

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Genial – mit kleiner Macke

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Victorinox kennt man weltweit für universelle Taschenmesser mit zahlreichen Zusatzfunktionen für jeden Zweck, unter Jägern sind die Hunter-Modelle sehr beliebt. Jetzt kommt mit dem Venture das erste Messer mit feststehender Klinge „made in Switzerland“ (Ibach). Wir haben das Venture im Revier ausgiebig getestet.

Messer mit feststehender Klinge gab es auch schon mal, aber die wurden nicht bei Victorinox in der Schweiz gefertigt, sondern in Spanien wie das Outdoor Master. Entwickelt wurde das Venture von Felix Immler, ein ausgebildeter Maschinenmechaniker und Sozialarbeiter, der hauptberuflich als Taschenmesser-Pädagoge (!) für Victorinox arbeitet. Auf einem eigenen YouTube-Kanal postet er regelmäßig Taschenmesser- und Bushcraft-Videos.

Das Venture
Das Venture ist ein Messer im Bushcraft-Stil – seine Verarbeitung entspricht den Taschenmessern und ist damit erstklassig. Die 105 mm lange Klinge ist an ihrer dicksten Stelle 3,2 mm stark. Sie hat einen ausgeprägten Flachschliff und ist auf höchste Schneidleistung ausgelegt – wird also unter dem Rücken sehr schnell dünner. Der Anschliff beträgt nur 16 Grad! Die Auslegung auf maximale Schneidleistung ist den Schweizern hervorragend gelungen – kaum ein bekanntes Messer beißt wie das Venture, es ist wirklich rasiermesserscharf. Die Spitze ist in der Klingenmitte angeordnet, auf dem Rücken findet sich vorn eine Riffelung zur Auflage des Fingers für feine Schneidarbeiten.
Als Stahl wird 14 C 28 N verwendet – entwickelt vom schwedischen Hersteller Sandvik speziell für Messer mit hoher Schärfe, Schnitthaltigkeit und gleichzeitig guter Rostbeständigkeit. Ziel dabei war es, einen Stahl zu schaffen, der bis zu 62 HRC härtbar ist, ohne seine Mikrostruktur zu beeinträchtigen. Daraus resultieren hohe Schärfe, gute Schnitthaltigkeit und einfache Nachschärfbarkeit ohne Mikro-Ausbrüche. Der Stahl enthält mit 14 Prozent gerade noch genug Chrom, um als rostfrei zu gelten – dem klassischen 12 C 27 ist er überlegen. Der Fokus liegt auf einer Kombination aus hoher Korrosionsbeständigkeit, hoher Härte und hoher Verschleißfestigkeit bei gleichzeitig guter Zähigkeit und Schneidkanten-Stabilität. Der Stahl erreicht eine sehr hohe Schärfe, ist aber vergleichsweise aufwändiger zu schärfen. Victorinox schöpft die machbaren 62 HCR (Härte Rockwell) nicht aus, sondern begnügt sich mit 59 HCR – was bei einer im Schneidbereich so dünnen Klinge auch nur zu begrüßen ist.

Der Griff
Der Polymer-Griff mit Mikrostruktur ist an der Full-Tang-Klinge (läuft über die komplette Länge, also auch durch den Griff) angespritzt und liegt gut in der Hand. Durch seine Mikrostruktur ist er bei jedem Wetter zuverlässig rutschfest. An beiden Seiten ist eine Daumenauflage integriert, die eine bequeme Handhabung bei feinen Schneidarbeiten ermöglicht. Das hinten aus dem Griff ragende Klingenende ist als Sechskantloch ausgebildet, in das Standard-Bits von Akku-Schraubern passen. Victorinox bietet dafür ein Pro Kit (49 €) an – inkl. Flachbohrer, den man dort einstecken kann. Die Bohrung lässt sich natürlich auch zum Befestigen eines Fangriemens nutzen. Die Griffgröße passt für kleine und mittelgroße Hände – wer Pranken hat, wird damit aber kaum glücklich werden...

Die Scheide
Keine Frage – Messer bauen können die Schweizer, Scheiden aber definitiv nicht. Die Kunststoffscheide hält das Venture zwar zuverlässig fest (klickt beim Einschieben deutlich), aber zum Tragen am Gürtel muss man eine Kordura-Schlaufe darüberziehen: Hängt man es an den Gürtel, kippt die Scheide mit Messer sofort ab – um das zu vermeiden, ist oben ein Gummiring angebracht, den man über den Griff zieht. Dann hält es zwar, aber erstens ist das beim Verstauen und Ziehen ein unnötiger Handgriff – und zweitens zieht man den Gummiring jedes Mal über die scharfe Kante des hinten herausstehenden Stahls – was nicht lange gut gehen wird. Die Scheide einfach mit festem Kunststoff – einer sogenannten Gürtelaufnahme – zu verlängern (wie bei unzähligen anderen Messern), wäre einfacher und besser gewesen. So trägt man das Messer besser ohne die Labber-Schlaufe in der Jackentasche oder im Rucksack. Ein letztes Scheidendetail soll nicht unerwähnt bleiben – unten hat sie ein Loch, womit man sie laut Victorinox zum Feuermachen oder Grillanzünden als Blasrohr nutzen kann – Humor haben sie ja, die Schweizer...

Im Revier
Das Venture ist beim Schneiden der reine Wahnsinn – durch Decke und Schwarte gleitet es mühelos und ohne viel Druck. Die 10-cm-Klinge reicht für heimisches Wild völlig – das Schloss aufbrechen sollte man mit der dünnen Klinge aber besser nicht. Der Griff liegt bei allen Arbeiten angenehm in der Hand, auch wenn man die Klinge im Reverse-Griff hält. Mit 23 cm Gesamtlänge ist das Venture sehr handlich – eine optimale Größe für alle jagdlichen Arbeiten, mehr Messer braucht es nicht. Nach zwei Rehen, einer Sau, einem Stück Rotwild und einigen Revierarbeiten war die Klinge zwar noch scharf, aber hatte nicht mehr die Rasiermesserschärfe, die das Arbeiten damit so angenehm macht. Wir warteten nicht, bis es noch stumpfer wurde, sondern schärften rechtzeitig mit Keramikstäben nach – 10 Minuten später rasierte es wieder Haare vom Unterarm...

Resümee: Das erste feststehende Victorinox-Modell ist kein Messer für Grobmotoriker. Aber wer gern mit einem wirklich scharfen Messer arbeitet, wird kaum Vergleichbares finden. Selbst als Küchenmesser zum Zurichten von Fleisch ist es spitze. Das Venture ist gelungen – nur an der Scheide müssen die Schweizer noch arbeiten – die labberige Gürtelbefestigung, die zur Sicherung einen Gummiring benötigt, bestand den RWJ-Reviertest nicht. 75 € sind nicht gerade supergünstig, was bei swissmade aber auch nicht zu erwarten war. Wer ein wenig im Netz stöbert, findet das Venture für unter 70 € – deutlich teurer als ein Mora, aber dafür spielt der Stahl auch in einer ganz anderen Liga. Norbert Klups