Bei der Kaliberwahl spielt die Leistung eine entscheidende Rolle,
man richtet sich dabei zwangsläufig nach Katalog-Werten – doch was, wenn diese Angaben gar nicht stimmen? Wir haben Herstellerwerte in drei beliebten Kalibern mit ihrer tatsächlichen Leistung aus herkömmlichen Waffen mit unterschiedlichen Lauflängen verglichen.
Differenzen zwischen Theorie und Praxis der Flugbahnkurve können fatale Folgen haben. Besonders bei weiten Schüssen sollte man genau wissen, wie viele Zentimeter das Geschoss auf die Zielentfernung fällt, um diesen Wert beim Anvisieren zu korrigieren. Mit einer immer beliebter werdenden Absehen-Schnellverstellung (ASV) am Zielfernrohr geht das ganz einfach – lediglich den passenden Skalenring zur eigenen Patrone montieren und schon kann man auf alle Distanzen einfach Fleck halten. Doch funktioniert das wirklich ?
Wer sich dabei allein auf Herstellerangaben verlässt, kann sein blaues Wunder erleben. Für den Flugbahnverlauf eines Geschosses spielen viele Faktoren eine Rolle, Mündungsgeschwindigkeit und Geschossform sind da nur zwei Punkte. Neben Umweltdaten käme etwa die Visierhöhe hinzu, die bei verschiedenen Waffentypen unterschiedlich ausfällt. Von Munitionsherstellern errechnete Flugbahnkurven gehen in der Regel von 4 cm Abstand zwischen Lauf-Seelenachse und Visierlinie aus. Bei Repetierern und anderen einläufigen Büchsen (Block-/Kipplauf) trifft dies bei normalen Montagen und Standard-Zielfernrohren zu – bei Kombinierten oder hoch montierten Zielfernrohren sieht das schon anders aus. Je nach Montage können es da bis zu 3 cm mehr sein – was nicht ohne Folgen bleibt: Die Geschossflugbahn schneidet die Visierlinie wesentlich später als bei geringerem Abstand zur Seelenachse.
Durch eine solche Herausschiebung des zweiten Schnittpunkts erreichen Geschosse so beim üblichen 4 cm Hochschuss auf 100 m den höchsten Punkt der Flugbahnkurve noch gar nicht – und die schöne Schusstafel des Munitionsherstellers und Zahlenringe für die ASV des ZF-Herstellers stimmen nicht mehr ! Denn jede GEE-Berechnung basiert auf der maximalen Erhebung der Geschossflugbahn von 4 cm über der Visierlinie.
Was leistet meine Patrone wirklich ?
Der wichtigste Faktor der Flugbahn eines Büchsengeschosses ist seine Anfangsgeschwindigkeit – je schneller es an der Laufmündung ist, desto flacher ist seine Flugbahnkurve (bei gleicher Geschossform). Wer glaubt, da brächte ein Blick auf die Rückseite der Patronenschachtel mit den Herstellerwerten Aufschluss, kann gewaltig irren. Diese Werte wurden irgendwann ermittelt – und seitdem einfach fortgeschrieben. Dabei spielen die Länge der Messläufe, seinerzeit verwendete Pulversorten und das Geschossmaterial eine Rolle. Von Charge zu Charge zeigen eigentlich gleiche Pulversorten oft erstaunliche Abweichungen und der Hersteller muss vor allem die Präzision seiner Munition ständig im Auge behalten. Da wird lieber die Ladung etwas reduziert, wenn die jeweilige Pulversorte eine bessere Präzision bringt, als sich der Kritik schlecht schießender Patronen auszusetzen, nur um irgendwann mal festgeschriebene Werte einzuhalten.
Und außerdem ...
... Wer misst schon nach ?
Der RWJ ! Wir wählten dazu drei Kaliber, die beliebt sind, häufig eingesetzt werden und von den meisten Herstellern auch angeboten werden: .308 Win., .30 - 06 und .300 WM. Für jedes Kaliber wurden fünf gängige Patronensorten mit bleifreien Geschossen gewählt. Um zu sehen, wie diese auf unterschiedliche Lauflängen reagieren, nutzten wir zur Leistungsermittlung je drei gebräuchliche Lauflängen, der Trend geht ja heute eher zu kürzeren Läufen. Wir haben ohne Schalldämpfer geschossen, erfahrungsgemäß erhöhen sie die Geschossgeschwindigkeit geringfügig, was man in der Praxis jedoch vernachlässigen kann. Der Mess-Aufwand dazu war beträchtlich – mehrere Tage auf dem Schießstand.
Wie wurde die Leistung ermittelt ?
Die Mündungsgeschwindigkeit wurde mit einem modernen Dopplerradar (LapRadar) gemessen, zur Kontrolle kam ein zusätzlicher Lichtschranken-Chronograph (Mehl) hinzu. Beide Geräte lieferten fast identische Werte, die um maximal 2-3 m/Sek. abwichen. Bei Fehlmessungen eines Messgeräts wurde dieser Schuss nicht verwendet. Die Tabellenwerte basieren auf dem Durchschnitt von fünf Schuss-Serien.
Die Testwaffen
Als Testwaffen dienten Repetierer von Blaser, Mauser, Sauer und Merkel mit fast neuwertigen Läufen. Álle sind wechsellauffähig, so konnten unterschiedliche Lauflängen, teilweise nur durch einen Laufwechsel, realisiert werden. Die Tabelle u. zeigt die für verschiedene Laborierungen und Lauflängen gemessenen Werte. Keine der Patronen erreicht die vom Hersteller angegebene Leistung ! Alle Werte sind niedriger. Bei Standard-patronen ist das nicht verwunderlich,
da Hersteller überwiegend mit 60 cm-Messläufen arbeiten und der RWJ-Test mit heute üblichen 56 cm begann. Die .300 WM kommt bei 65 cm Lauflänge (das dürften auch die Messläufe haben) recht nah an die Herstellerangaben heran, auch wenn sie in keinem Fall erreicht werden. Lediglich die RWS Evo Green fällt etwas aus dem Rahmen, ihr fehlen gute 40 m/Sek. Bei der .300 WM ist der Leistungsverlust vom 65- zum 61 cm-Lauf erstaunlich gering. 61 cm sind völlig ausreichend, was die Leistung betrifft, Mündungsfeuer und Rückschlag nehmen natürlich zu. Erst bei 56 cm wird der Unterschied zu 65 cm sehr deutlich. Die Differenz zu einer .30 - 06 ist da bei gleicher Lauflänge schon sehr gering, so bringt etwa das 11,7 g Sellier & Bellot Exergy aus dem 56er Lauf in .30 - 06 gemessene 794 m/Sek. und aus dem 56er der .300 WM 825 m/Sek. Bei .30 - 06 und .308 zeigte sich zunächst, dass die Messwerte bei gleicher Lauflänge nicht allzu weit auseinanderliegen – bei manchen Laborierungen gerade mal 10 m/Sek. Vorsprung für die .30 - 06. Besonders aus kurzen Läufen dürfte die .308 das eindeutig bessere Kaliber sein, da sie weniger Pulver verbrennt – und damit weniger Rückstoß und Mündungsfeuer und so Schalldämpfer weniger belastet. Außerdem passt sie in Kurz-Systeme.
Außenballistische Erkenntnisse
Die Geschossflugbahn ändert sich gegenüber den Angaben auf der Packung zwar, aber jagdlich wird das erst jenseits von 200 m spürbar: Als Beispiel sei die Flugbahn der .30 - 06 mit Normas 9,7 g EcoStrike nach der vom Hersteller angegebenen V0 mit der tatsächlichen V0 aus den RWJ-Testwaffen mit unterschiedlichen Lauflängen verglichen. Die Flugbahnen wurden so ausgerechnet, dass die Waffe ein 4 cm über der Seelenachse liegendes Zielfernrohr hat und einen Hochschuss von 4 cm auf 100 m aufweist. Diese Einstellung ist allgemein üblich und hat sich in der Praxis bewährt.
Alle Daten stammen vom außenballistischen Berechnungsprogramm Quick Target. Vergleicht man die Geschossflugbahn nach Angabe des Herstellers mit den tatsächlichen Werten aus verschiedenen Lauflängen, wird es zwar immer ungünstiger, je kürzer der Lauf, aber nicht dramatisch. Bis 200 m geht der Unterschied im Geschoss-Abfall selbst beim 47 cm-Lauf
in der Waffen- , erst recht der Schützen-Streuung unter – gerade mal 2,6 cm mehr fällt das Geschoss aus dem kürzeren Lauf. Erst ab 250, erst recht ab 300 m (wie bei der Bergjagd auf Gams) macht sich die Differenz der Flugbahn jagdpraktisch bemerkbar und muss unbedingt berücksichtigt werden.
Resümee: Genau genommen lassen sich vier Schlüsse aus den tatsächlichen Messungen ziehen:
1. Man sollte nicht alles glauben, was auf Patronenschachteln gedruckt wird – die versprochenen Werte erreichte keine Patrone.
2. Abweichungen von der Flugbahn bis etwa 200 m sind in Sachen Präzision auch bei kurzen Läufen kaum von Bedeutung, wenn man sich auf angegebene Werte verlässt – die geringere Ziel-Energie ist eine andere Sache.
3. Wer wirklich weit schießen will, muss den Geschossfall aus der eigenen Waffe auf einem 300 m-Stand ermitteln und danach seine ASV einrichten. Zumindest muss die echte V 0 aus der eigenen Waffe bekannt sein, um die Flugbahn mit einem entsprechenden Computerprogramm zu berechnen. Für Distanzen unter 300 m ist eine ASV überflüssig, wenn man die Waffe mit 4 cm Hochschuss einschießt. In Magnum-Kalibern (.300 WM) spielt die Lauflänge eine größere Rolle. Hersteller laden Patronen so, dass sie hohe Leistung erbringen, wenn genügend Lauflänge zur Verfügung steht. Wer kurze Läufe bevorzugt, ist mit einer .308 besser bedient, bei gleicher Lauflänge bringt eine .300 WM kaum mehr Leistung.
4. Es lohnt sich durchaus, die Leistung verschiedener Patronen aus der eigenen Waffe zu vergleichen – je nach Hersteller und Laborierung kommt es zu deutlichen Leistungsunterschieden. Für die im RWJ- Test verwendeten Patronen trifft das natürlich nur für die verwendeten Lose zu, bei anderen Chargen kann es durchaus Unterschiede geben.
Die reine Mündungsgeschwindigkeit ist keinesfalls das alleinige Leistungskriterium, so spielt der Geschoss-Typ für die Zielwirkung eine sehr große Rolle. An erster Stelle sollte immer die aus der eigenen Waffe ermittelte Präzision stehen – deutlich wichtiger als ein paar Meter-Sekunden mehr („weniger Speed“).
Norbert Klups