Zu viel Wild im Wald?
Unter diesem Titel hatte die Regionale PEFC-Arbeitsgruppe NRW Waldbesit-zende zu einer Strategiediskussion über die Wiederbewaldung von Schad-flächen Ende August nach Vogelsang (Nationalpark Eifel) eingeladen.
PEFC (Programm zur Anerkennung von Forstzertifizierungs-Systemen) ist die weltweit größte, unabhängige Institution zur Sicherstellung und Vermarktung nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Die Regionale Arbeitsgruppe NRW befasste sich Ende August im Nationalpark Eifel Ende Juli einen ganzen Tag lang mit Wald-Wild-Fragen.
Der NRW-Vorsitzende Dietrich Graf Nesselrode begrüßte die Teilnehmer und freute sich über das große Interesse am Tagungsthema – was aber auch angesichts der riesigen Schadflächen in NRW (Fachleute gehen bisher von über 100 000 ha aus) nicht überra-schend gewesen sei. Angesichts der Tatsache, dass Bund und Länder zwar insgesamt rund 1,5 Mrd. Euro zur Wiederbewaldung bereitstellen, allerdings ganz bewusst ohne flächige Schutzzäune, appellierte Nesselrode gleich zu Beginn, dass Waldbesitzende zur Schaffung klimastabiler Wälder der Zukunft dringend auf die Unterstützung der Jäger angewiesen wären.
Walter Schmitz (NRW-Jagdreferent i. R.) führte in den rechtlichen Rahmen zur Durchset-zung von Wildschadensansprüchen ein und erinnerte etwa an das KO-Kriterium der Einhaltung von Fristen: Danach müssen forstliche Schäden pünktlich zum 1. Mai oder 1. Oktober gemeldet werden, ansonsten verfällt jeder Rechtsanspruch auf Entschädigung.
Ein seltsames Miteinander...
Markus Wolff (Leiter Stadtforstamt Remscheid, Vorstandsmitglied ANW NRW) befasste sich mit der Frage, wie Waldbesitzer in einer Jagdgenossenschaft konkreten Einfluss auf die Wildbestandsregulierung nehmen können. In seiner Verantwortung sei die Verpach-tung von Jagdrevieren auf ganzer Fläche durch ein System von Pirschbezirken ersetzt worden. Statt „auswärtiger reicher Jäger aus dem Ruhrgebiet“ kontrollieren dort nun Forstbedienstete, ob die Pirschbezirksinhaber die gestellten Aufgaben (= Abschuss-vorgaben) auch erfüllen. Wolff: „Wir jagen weiter in der Fläche !“
Er verglich die Verpachtung von Jagdrevieren mit einem Schwimmbad, das Kommunen ja auch nicht zur Nutzung an solvente Einzelne – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – vermieten würden. Wolff regte an, sollten Bund/Land angesichts von Wildschäden die Rückzahlung von Fördermitteln fordern (seiner Meinung nach ein nicht unrealistisches Szenario), sollten dafür nicht Waldbesitzer, sondern Jäger aufkommen. Zur Durchsetzung bislang leider individuell nur erschwert durchsetzbarer Ansprüche in einer Jagdgenossen-schaft empfahl er den Waldbesitzern die Gründung sog. „Jagdrecht-Bündelungsvereine“. Hierzulande sei man mit waldfreundlichen Lösungen leider noch nicht so weit wie etwa in Bayern, eine Region, die er in Deutschland mehrmals als beispielhaft herausstellte.
Beispiele aus dem Staatswald ...
Florian Krumpen (Nationalpark Eifel) stellte das Wildtiermanagement im Nationalpark vor. Für eine saubere Dokumentation rund um die hohen Rotwildbestände der Region wies er auf die mangelnde Zusammenarbeit mit den umliegenden Privatrevieren hin.
Franz van Elsbergen (Leiter Staatswald im Regionalforstamt Rureifel/Wald u. Holz NRW) stellte ein Weißtannen-Projekt und Jagdstrategien im Hürtgenwald vor. In zwei verpach-teten Staatswaldrevieren sei es gelungen, durch entsprechende Maßnahmen gemeinsam mit Privatjägern auch ehrgeizige waldbauliche Ziele umzusetzen. Dazu zählte sowohl der körperliche Nachweis als auch ein Anreiz-System, das die Pächter bei erfüllter Abschuss-Vorgabe von jeglichen Wildschadens-Zahlungen freistellte – und zu Pachtabschlägen bis 20 Prozent führt! Für ein so erfolgreiches Miteinander benötige die Forstverwaltung, so van Elsbergen allerdings „brauchbare Jäger“, die dies jährlich etwa in einem echten Schießleistungsnachweis belegen müssen.
...und dem Kommunalwald
Die Gemeinde Nettersheim (EU) ist ein großer Waldbesitzer in der Eifel mit Jagdrecht auf rund 2 000 ha. Wolfgang Schmieder (Forstamtsleiter Nettersheim) beschrieb die Zustände zu Beginn seiner Amtszeit mit eindrücklichen Worten: „Wir waren der Club der Bonsai-Züchter – angesichts überhöhter Rotwildbestände war selbst die Fichte auf rund ein Drittel der Fläche nicht mehr zu verjüngen!“ Er habe den Gemeinderat dahingehend beraten, sich bei allem Verständnis für ganz andere Interessen privater Jäger von der Verpachtung des Gemeindewaldes abzusehen. Heute wird fast die gesamte Fläche (bis auf 270 ha Rest) nicht mehr verpachtet, sondern eigenbewirtschaftet – unter seiner Regie. Dafür können sich auch die alten Pächter bewerben, von denen sich aber „aus Status-Gründen“ so Schmieder, etliche schwer damit täten. Seine Vorgaben seien durchaus restriktiv, so könnten die Jäger nicht mehr rund ums Jahr in die Flächen. Schmieder: „Wir definieren Öffnungszeiten für unsere Jäger.“
Uwe Schölmerich (NRW-Vorsitzender AG Naturgemäße Waldwirtschaft/ANW) stellte Gedanken zu Jagd und Klimawandel im naturgemäßen Wald vor. Dazu forderte er einen erkennbaren Wechsel von einer klassischen hin zu einer „wald-orientierten“ Jagd. Für diese neue Art der Jagd brauche es „fitte Jäger“: motiviert, trainiert und technisch up to date. Es gelte, an vielen Stellschrauben bisher liebgewordener, aber ineffektiver Jagdele-mente zu drehen. So könne man etwa bei Bewegungsjagden auf „sekundär-motivierte“ Treiberwehren, die nur an ein kostenlosen Mittagessen dächten, gut verzichten. Sein Credo auf dem Weg zu den Wäldern der Zukunft: „Engagiert jagen und Holz machen!“
Eigentumsrechte gehen vor
In der Abschluss-Diskussion wurde die große Sorge der teilnehmenden Waldbesitzer deutlich. Womit man die wegfallende Brotbaum-Art Fichte zukünftig ersetzen kann, weiß heute sicher noch niemand, Weißtanne und Douglasie werden dabei wahrscheinlich eine gewisse Rolle spielen.
Ein Teilnehmer erinnerte an einen entscheidenden Faktor – im Ringen um die Bejagung privater wie öffentlicher Wälder gehe es am Ende um die Umsetzung grundgesetzlich geschützter Eigentumsrechte. Die Eigentümer der Wälder hätten zu entscheiden, wie auf ihren Flächen gejagt werde. Anwesende Jäger wiesen darauf hin, dass diese anspruchs-volle Aufgabe aber nur gemeinsam mit den Jägern – und nicht gegen sie – gelingen könne.
Matthias Kruse
Kommentar
Feindbild-Pflege hilft keinem
Rund zwei Drittel der Wälder in NRW gehören privaten Besitzern – mehr als irgendwo sonst in der Republik. Die berechtigten Sorgen dieser Waldbauern sind existentiell. Nicht nur, dass ihre „Sparkasse“ durch Stürme, Dürren und Borkenkäfer innerhalb weniger Jahre komplett zerstört wurde, schauen sie in eine völlig unklare Zukunft. Trotz Abermillionen von Euros, die Bund und Ländern ihnen versprachen, spüren sie ganz genau, dass Jagd und Jäger eine Schlüsselrolle spielen werden, wenn die große Aufgabe – der Aufbau klimastabiler(er) Wälder – gelingen soll. Die Jäger zwischen Rhein und Weser stellen sich dieser Aufgabe – im Februar 2020 unterzeichneten der Landesjagdverband und bedeu-tende Nutzergruppen wie der Waldbauernverband NRW ein gemeinsames Strategiepapier (s. RWJ 3/20). Darin verpflichten sich die Jäger, in den kommenden Jahren an und um die Kalamitätsflächen eine verstärkte Schwerpunkt-Bejagung durchzuführen, damit junge Bäume möglichst schnell und unverbissen aus dem Äser wachsen können.
Parallel dazu verpflichteten sich die Waldbesitzer nicht nur zu einem intelligenten System freizuhaltender Bejagungsschneisen, sondern auch zur Schaffung von Wildruhe- und Äsungszonen im Umfeld der Schadflächen. Dieser „nordrhein-westfälische Weg“ des Miteinanders (anstatt übereinander zu reden) unterscheidet sich wohltuend von Stim-mungen und Kriegs-Rethorik anderswo. Auf einer solchen Basis wäre vielleicht auch die gescheiterte Novelle für ein neues Bundesjagdgesetz zu retten gewesen. Die auf der PEFC-Tagung zu erlebende Feindbild-Pflege mancher Referenten ist da wenig hilfreich. Leider hat dies die Tagungsleitung weder erkannt, noch unterbunden.
Wir Jäger stehen in diesen schweren Zeiten solidarisch an der Seite der Waldbesitzer ! Es wäre im Sinne dieser gemeinsamen Sache fatal, wenn es bestimmten „interessierten Kreisen“ gelänge, einen Keil zwischen unsere Allianz zu treiben – und bei einem möglichen Scheitern der ambitionierten Wiederbewaldung dem Schalenwild sowie Jagd und Jägern einen „Schwarzen Peter“ zuzuspielen. Sicher – das Wild ist nicht schuld am flächigen Absterben der Wälder in unserem Land. Genauso sicher ist aber auch, dass auf rote Fichten-Wüsten grüne Oasen folgen werden – Wildlebensräume, die diesen Namen auch verdienen. Auf dem Weg dahin müssen wir allerdings für einige Jahre den Schalenwild-abschuss erhöhen – das sind wir den Waldbauern und dem Wild schuldig.
Matthias Kruse