...die tödliche Gefahr
Seit Monaten grassiert unter hasenartigen Wildtieren auch in NRW eine Krankheit, mit der sich die meisten Jäger wohl das letzte Mal in Zeiten ihrer Ausbildung befasst haben. Welch fatale Konsequenzen allerdings die Einstellung „Ja, schon mal gehört – aber geht MICH ja nix an“ haben kann, zeigt ein dramatischer Fall aus dem Münsterland.
Orts-Termin Anfang März 2025 im Universitätsklinikum Münster: Dort soll ein Drama aufgearbeitet werden, das im letzten Winter um Haaresbreite einen alten Freund von mir das Leben gekostet hätte. Im November hatte ich ihn mehrfach versucht zu erreichen, ergebnislos: „Ist im Krankenhaus“ hieß es lapidar aus der Umgebung von Bodo Maslo (52), dem engagierten und im ganzen Münsterland bekannten „Chef“ der Schießanlage in Coesfeld-Flamschen. In den folgenden Wochen wurden die Mienen und der Tonfall seiner Bekannten und Freunde immer niedergeschlagener – keiner wusste was Genaues, aber immer deutlicher wurde, dass es lebensbedrohlich war.
Was war passiert?
Chronologie eines Dramas
24.10.: Der Münsterland-Jäger wird von heftigem Schüttelfrost und Fieber attackiert. Als sich das nach Tagen nicht bessert, veranlasst sein Hausarzt eine Blutuntersuchung. Anfang November: Die Leberwerte sind besorgniserregend.
15.11.: Computer-Tomographie, Verdacht auf Hepatitis (Leberentzündung), Befund: massive Fremdkörper in der Lunge, Verdacht auf Lungenkrebs (Bodo Maslo war starker Raucher)
22.11.: Biopsie/Bronchoskopie (Entnahme von Material aus den Lungen-Fremdkörpern)
25.11.: erhärteter Verdacht kleinzelliges Lungen-Karzinom (bösartiger Lungenkrebs), kein eindeutiger Befund möglich, da das entnommene Material zum Großteil abgestorben (nicht sauber auszuwerten) war, Vorbereitung zur Chemo-Therapie, hochdosierte Infusionen werden nur fünf Minuten vor dem Start der Chemo abgebrochen.
28.11.: Zweit-Biopsie (ohne neue Befunde)
6.12.: PET-CT (massive Fremdkörper in der Lunge)
12.12.: Kryo-Biopsie (bei der mehr Material aus der Lunge entnommen wird) in der Uni-Klinik Münster
Ergebnis: unbekannter Entzündungsherd, keine Tumorzellen in der Probe.
Der behandelnde Arzt im UKM, Privatdozent Dr. Michael Mohr, erläuterte die weitere Vorgehensweise im Gespräch mit dem RWJ: „Bei unbekannten Entzündungen verfahren wir nach klar vorgegebenen Leitlinien – und schließen nacheinander aus, was es nicht ist, wie in vielen Fällen etwa Tuberkulose.“
Des Rätsels Lösung
Nachdem im Rahmen der Entzündungs-Leitlinien eine erneute Blutprobe beim Robert-Koch-Institut (Nationales Referenz-Labor) gelandet ist, kommt schließlich am 18. Dezember die gesicherte Diagnose: Bodo Maslo hatte keinen metastasierten Lungenkrebs, sondern Tularämie – unter Jägern auch bekannt als Hasenpest! Dieser Befund ist beim Menschen selten, Lungenfacharzt Dr. Mohr kann sich nach über 25 Jahren nur an zwei weitere Fälle erinnern: „Bestätigte Fälle wohlgemerkt – wahrscheinlich haben wir 10-mal mehr schlicht übersehen...“ Erreger dieser von Hasenartigen auch auf Menschen übertragbaren Erkrankung ist das Bakterium Francisella tularensis, bei Bodo Maslo war es genau der Patho-Typ holarctica.
Hasenpest statt Lungenkrebs
Auch wenn diese schwerwiegende Erkrankung beim Menschen in etwa einem Drittel der Fälle tödlich verläuft, war die Prognose bei Bodo Maslo nun eine ganz andere. Mit einer zielgerichteten Antibiotika-Therapie, die auch sehr gut ansprach, stabilisierte sich sein Gesundheitszustand erfreulich schnell. Bodo Maslo: „Der Befund vom 18. Dezember war für mich natürlich das schönste Weihnachtsgeschenk...“ Natürlich grübelt er intensiv darüber nach, bei welcher Gelegenheit er sich den Erreger wohl gefischt haben könnte – bei den wenigen Hasenjagden ab Mitte Oktober eher nicht. Aber er hatte sich im Herbst einige Male an der Entsorgung verendeter Hasen (Myxomatose-Verdacht) rund um Coesfeld beteiligt ... ohne dabei Schutzhandschuhe benutzt zu haben.
Ende Januar traf ich den vermeintlich dem Tode geweihten Freund bester Stimmung und augenscheinlich völlig gesund auf den Gängen der Dortmunder Jagdmesse! Meine Überraschung und Freude war riesig. Nachdem er mir von seiner unglaublichen Leidensgeschichte erzählte, war schnell klar, dass wir darüber im RWJ berichten sollten. Aus gutem Grund.
Hohe Dunkelziffer?
Nachdem der genesende Jäger im Kreise sich mit ihm freuender Kumpels von seinem Schicksal berichtete, wurden etliche in froher Runde auf einmal merkwürdig still – und besuchten umgehend selbst ihren Hausarzt, um „mal was klären zu lassen“...
Allein unter den Jagdfreunden von Bodo Maslo wurde bei weiteren zwei Betroffenen ebenfalls Tularämie diagnostiziert! Nicht nur deshalb verabschiedete sich Lungen-Experte Dr. Michael Mohr mit einem eindrücklichen Appell beim Gespräch mit dem RWJ in der Uni-Klinik: „Nicht gleich bei jedem Schnupfen wird ein Hausarzt an Hasenpest denken. Aber bei einer indifferenten Symptomatik und nicht ansprechenden Antibiotika sollten gerade Jäger den behandelnden Arzt darum bitten, beim Robert-Koch-Institut eine Ausschluss-Untersuchung auf Tularämie durchzuführen – und zwar trotz des grundsätzlich beschränkten Etats von Hausarzt-Praxen für solche Untersuchungen.“
Sachstand – und Konsequenzen
Für Bodo Maslo ging dieses Drama also noch mal gut aus – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Die Fremdkörper in seiner Lunge sind bis auf minimale Reste verschwunden und die lebensbedrohliche Situation (Maslo: „Ich stand fünf Minuten vor der fertig vorbereiteten Chemo, die ich vielleicht nicht überlebt hätte...“) war für ihn ein mehr als deutliches Warnsignal: Er gab nach jahrzehntelangem Tabak-Konsum im Herbst 2024 das Rauchen auf – ein Schritt, den sein Lungenfacharzt Dr. Michael Mohr nur begrüßen kann: „Wenn das Ganze überhaupt für irgendwas gut war, dann dafür, dass Herr Maslo jetzt sicher eine um Jahre höhere Lebenserwartung hat, wenn er das Rauchen sein lässt.“
Matthias Kruse
Und die Moral von der Geschicht‘... Einen Verdacht abzuklären, kann auch IHR Leben retten!
Diese wirklich dramatisch verlaufende Geschichte hätte um ein Haar einen mitten im Leben stehenden Jäger (und meinen Freund Bodo) genau das – sein Leben – gekostet. Mit ganz viel Glück und der Hilfe hochkompetenter Spezialisten einer Uni-Klinik wurde die tückische Bedrohung gerade noch rechtzeitig erkannt und konnte entsprechend behandelt werden. Aber nicht jedem Feld-Wald-und-Wiesenarzt auf dem Dorf (und auch nicht in der Stadt!) stehen solche diagnostischen Möglichkeiten zur Verfügung. Denn auf den Verdacht einer so teuflisch-tückisch getarnten Zoonose muss man ja erst einmal kommen. Was sollten wir Jäger also aus diesem Drama lernen? Wenn sich die körperliche Lage nach einem „banal erscheinenden“ Infekt (Fieber, Müdigkeit, Mattigkeit) nicht bessert und auch standardmäßig verordnete Antibiotika nicht ansprechen, sollte man seinen behandelnden Hausarzt gezielt auf die Möglichkeit bzw. den Ausschluss von Tularämie ansprechen – mit dem Hinweis, dass man sich als Jäger möglicherweise unbemerkt und unbedacht infiziert haben könnte. Um dies sicher auszuschließen, sollte Ihr Hausarzt beim Robert-Koch-Institut (Berlin) umgehend abklären lassen, ob auch SIE vielleicht an Hasenpest erkrankt sind. Diese Untersuchung kann (IHR!) Leben retten... mk