Wolf in Brüssel und Dresden

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Wolf in Brüssel und Dresden

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Die Politik erkennt, wie sehr der Wolf die Menschen umtreibt.

Seit Monaten wird in den Medien über die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland berichtet. Täglich werden wir Zeugen von Risse an Schafen, Ziegen, Fohlen, Rindern oder Hunden. Vor allem Schäfer und Landwirte sind zumindest alarmiert. Viele fürchten um ihre wirtschaftliche Existenz.

Andererseits fasziniert der Großräuber viele Menschen und seine Anwesenheit in unserer europäischen Kulturlandschaft wird als Bereicherung gesehen. Der Streit zwischen Skeptikern und Befürwortern wird verbissen ausgetragen.

Die Politik sieht sich immer mehr dazu gedrängt, Lösungen aufzuzeigen. Der strenge Schutz des Wolfes über die europäische FFH-Richtlinie hilft ihm, sich in rasantem Tempo auszubreiten und neue Territorien für sich in Besitz zu nehmen. Vor allem Weidetierhalter kritisieren, dass der Grauhund auf diesem Weg seine Scheu vor dem Menschen verliere oder bereits verloren habe. Schließlich hätten Übergriffe auf Weidevieh oder sogar auf Tiere in Stallungen (jagdpraxis.de berichtete) keine Konsequenzen.

Einige Europa-Abgeordnete fürchten sogar das Ende der Naturweidetierhaltung in Europa. Am Dienstag (15. Mai) fand aus diesem Anlass im Europäischen Parlament in Brüssel eine mit namhaften Experten besetze Anhörung statt. Der bekannte Grünen-Politiker Joseph Bové und der Sozialist Eric Andrieu aus Frankreich hatten gemeinsam mit den Christdemokraten Karl-Heinz Florenz aus Neukirchen-Vluyn (WES), Herbert Dorfmann (Südtirol) u. a. eingeladen.

Sie eint eine skeptische Sicht auf die unkontrollierte Ausbreitung des Wolfes und die Gefahr für die Weidetierhaltung. Dabei verläuft die Trennlinie zwischen Stadt und Land – und weniger zwischen den Parteien. Den Abgeordneten ländlicher Regionen geht es um den Erhalt der Naturweidewirtschaft. Deshalb hieß die Veranstaltung auch „Naturweidewirtschaft schützen“.

Für die EU-Kommission sprach Umwelt-Kommissar Karmenu Vella aus Malta. Er betonte, die Rückkehr des Wolfes sei erwünscht, es sei also nur eine Koexistenz von Wolf und Weidetieren möglich.Dazu müsse in erster Linie der Schutz durch Zäune und Herdenschutzhunde gewährleistet sein. Parallel dazu müsse es höhere Förderungen für Schäfer geben.

Kommissar erzürnt Abgeordnete
„Schutz muss integraler Bestandteil der Landwirtschaft in Gebieten mit Großraubtieren sein“, so der Kommissar. Viele der anwesenden EU-Abgeordneten aus Spanien und Frankreich zogen bei diesen Äußerungen die Stirn kraus. Erzürnten Widerspruch erntete Vella schließlich, als er sich zur Äußerung verstieg, die Anwesenheit von Wölfen fördere den Tourismus und bringe Geld in die ländlichen Regionen. Da platze manch Abgeordnetem der Kragen und es hagelte Zwischenrufe in die zuvor sehr sach­lichen Ausführungen. Der Grüne Joseph Bové (F), selbst Landwirt, entgegnete dem Kommissar, dass die Menschen den Wolf vor Ort durchaus anders erleben würden.

Karl-Heinz Florenz zeigte sich verärgert. Er könne seinen Landwirten am Niederrhein nicht erzählen, dass Zäune die einzige Lösung seien. „Das sind keine dummen Jungs“, empörte sich der Praktiker. Die EU-Kommission müsse den Menschen endlich Antworten liefern, „ansonsten laufen uns die Bürger davon.“ Für seinen Protest erntete Florenz, der auch Sprecher der Intergroup Jagd im EU-Parlament ist, kräftigen Applaus.

Poster: Defend Pastoralism
Plakat der Veranstaltung: Defend Pastoralism im Europäischen Parlament



Verantwortung der Schäfer
Stefan Wenzel, ehemaliger grüner Umweltminister in Niedersachsen, argumentierte hingegen, dass es keine großen Probleme mit Wölfen gäbe, wenn man Herden effektiv durch Zäune schütze. „Wo Herdenschutz vernachlässigt wurde, gab es viele Risse. Die Verantwortung dafür liegt beim Halter.“ Es gäbe auch keine Korrelation zwischen Wolfszahl und Rissen. Viel wichtiger sei es, Wölfe nicht zu füttern, Aufbrüche zu vergraben statt Luderplätze anzulegen und Raststätten sauber zu halten. Die Gefahr eines Jagdunfalls sei ungleich höher als die eines Wolfsangriffs, außerdem machten Weide­tiere nur ein Prozent der Nahrung von Wölfen aus. Entschädigungen für Schäfer seien zudem im Vergleich zu sonstigen immensen Agrarsubventionen zu vernach­lässigen. Dennoch müsse man subjektive Ängste der Bevölkerung ernst nehmen. Die Sicherheit des Menschen hätte Priorität. Der Wolf sei in der Natur überdies eine Gesundheitspolizei, die auch zur Eindämmung der Afrikanischen Schweine­pest beitragen könne, weil er kranke und schwache Wildtiere reiße.

Mehr Risse trotz Schutz
Der renommierte französische Wissenschaftler Laurent Garde widersprach dieser Darstellung. Trotz immer aufwendigerer Schutzmaßnahmen steige die Zahl der Risse an – auch am Tag und in der Nähe menschlicher Siedlungen.

Diese Erkenntnis unterstützte der fran­zösische Schafzüchter Laurent Reversat. Nach seinen Beobachtungen seien Schutz­maßnahmen immer weniger wirksam. Er warf der Politik eine Salami-Taktik vor – erst würden Wolfsrisse nicht anerkannt, dann werde die Problematik der Hybrid-Wölfe kleingeredet – und trotz allem würde der Wolf noch immer als leuchtendes Beispiel für den Artenschutz hingestellt.

Verlust bäuerlicher Identität
Gregor Grill (Landwirtschaftskammer Salzburg) berichtete über Auswirkungen von Wölfen auf die Weidewirtschaft in den österreichischen Alpen. Er zeichnete ein düsteres Bild – eine Einzäunung von Flächen auf felsigem Grund sei praktisch kaum umsetzbar. Nur auf etwa einem Drittel der Fläche sei es überhaupt möglich – unter schwierigsten Bedingungen.
Die Nebenerwerbslandwirtschaft stünde in Österreich unter diesen Umständen tendenziell vor dem Aus – trotz bestem Willen der Bergbauern und einer ausgefeilten Vermarktung regionaler Produkte. „Wenn die Entwicklung so weitergeht, stirbt die bäuerliche Identität“, warnte Grill.

Kommission bewegt sich nicht
Der Generalsekretär der europäischen Jägervereinigung FACE Ludwig Will­negger betonte, dass Großraubtiere ihre Berechtigung hätten. Er forderte eine Beteiligung der Jäger am Wolfs-Management und distanzierte sich von illegalen Abschüssen. Er erklärte, dass Wölfe Druck auf bestehende Ökosysteme ausüben, was u. a. Schälschäden verursache. Jäger würden den Wolf nicht als Konkurrenten sehen, man hätte aber die enormen Kosten im Blick, die seine Rückkehr mit sich bringe. Schließlich handele es sich bei den Zuschüssen für Zaunbauten und Entschädigungen um Steuergelder, mit denen man sorgsam umgehen müsse.

Die Vertreter der EU-Kommission zeigten sich von den fundierten Einwänden allerdings wenig beeindruckt. Geradezu gebetsmühlenartig wiederholten sie das Ziel der Koexistenz. Herden müssten eben ausreichend geschützt werden. Die Länder der EU seien wohlhabend, da wäre es wohl möglich, einen Ausgleich zwischen Artenschutz und wirtschaft­lichen Aktivitäten zu finden. Ein Prozent der Menschen in der EU mache sich Sorgen um den Weidetierbestand, während andere die Rückkehr des Wolfes begrüßten. Die Kosten müsste allerdings die Gesellschaften und nicht die einzelnen Schäfer tragen. Eine Änderung der Anhänge der FFH-Richtlinien, die festlegen, ob und wann Wölfe bejagt werden dürfen, sei nicht die Lösung.

Diskussion in Sachsen
Auch im Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft des Sächsischen Landtages wurde diskutiert, wie mit dem Wolf umzugehen ist. Der Freistaat ist schon seit Jahren Wolfsland. Anlass waren Anträge von CDU und SPD sowie der Grünen. Dazu haben zwölf Sachverständige die Situation analysiert. Sie kamen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hans-Jürgen Thies, CDU-Bundestagsabgeordneter und LJV-Vizepräsident in NRW sowie Dozent Sven Herzog, Experte für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der TU Dresden, kamen zu dem Schluss, dass der Bestand der Wölfe in Deutschland nicht gefährdet sei und daher bejagt werden könne. Thies sprach dabei von einer Größenordnung von etwa 150 Tieren, die jährlich erlegt werden könnten. Es gäbe etwa 700 Wölfe in Deutschland. Der Bestand wachse jährlich um 30 %.

Widerspruch kam von Wolfgang Köck. Der Leiter des Departments Umwelt- und Planungsrecht im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig geht von 150 erwachsenen Tieren in Deutschland aus. Die Population könne erst als stabil bezeichnet werden, wenn es 250 erwachsene Tiere gibt, die mit anderen Populationen vernetzt sind. Dazu müsse man die Bestände weiter beobachten und eng mit Polen zusammenarbeiten. Das berichtet die Süddeutsche Zeitung.

Foto: Veranstaltungsplakat der Fraktionen EPP, S&D, Les verts, GUE/NGL im Europäischen Parlament