Rehe sachgerecht bejagen – auch im April
Hitze, Trockenheit und Stürme von 2018 - 20 haben zu massiven Waldschäden durch Borkenkäfer geführt. Mit rund 415 000 ha
sind etwa die Hälfte aller Fichtenbestände in NRW befallen ...
Die Wiederbewaldung und der Aufbau klimastabiler Wälder erfordert Baumartenvielfalt. Wesentlich für den Erfolg ist ein sachgerechtes Wildmanagement. Ein erfolgsversprechendes Wildmanagement muss Lebensraumgestaltung, Jagd und Lebensraumberuhigung miteinander verknüpfen. Nur mit einem ganzheitlichen Ansatz kann der erfolgreiche Umbau zu klimastabilen Wäldern gelingen. Gerade beim Rehwild kommt der zeitlichen und räumlichen Schwerpunktsetzung besondere Bedeutung zu.
Um das Gelingen der Wiederbewaldung zu unterstützen, wurde bereits 2020 per Erlass die Möglichkeit geschaffen, bis 2025 für Gebiete oder einzelne Jagdbezirke mit hohen Kalamitätsschäden (Hauptschadensgebiete) die Schonzeit für Schmalrehe und Böcke in Niederungen (unter 450 m) vom 1. bis 30. April und ab 450 m vom 15. bis 30. April aufzuheben.
Was als Hauptschadensgebiet anzusehen ist, legte zunächst der Landesbetrieb Wald und Holz fest.
Die Unteren Jagdbehörden legen die Gebiete (Allgemeinverfügung nach kommunalen Grenzen) oder die Jagdgebiete (Einzelverfügung in Gebieten mit geringem Waldanteil) nach Anhörung des Jagdberaters fest. Weitere begleitende Elemente sind das Schalenwildkonzept Wiederbewaldung (Forschungsstelle) für Waldbesitzende und Jäger und die
Erstellung der Verbissgutachten gem. § 22 Abs. 5 LJG NRW (Landesbetrieb Wald und Holz). Ein Kurzkonzept zur Wiederbewaldung wurde früh veröffentlicht, der ursprüngliche Plan, Sachverhalte analog den Vorgaben nach Kyrill in Fortbildungen mit Exkursionen in Theorie und Praxis zu vermitteln, musste wegen der Pandemie auf 2022 verschoben werden.
Keine generelle Aufhebung der Schonzeit
Die Frage einer generellen Schonzeitaufhebung für Rehe wurde im Landesjagdbeirat bei der Obersten Jagdbehörde intensiv beraten – im Ergebnis ist eine
flächendeckende Bejagung von Rehen im April nicht vertretbar. Geringe Werte für den Nierenfett-Index zu dieser Jahreszeit signalisieren einen weitgehenden Abbau der körpereigenen Reserven, so dass der April für Rehe zur Erholung nach dem Winter wichtig ist.
In der Gesamtabwägung aufgrund der territorialen Lebensweise gilt unter dem Gesichtspunkt Wiederbewaldung für Rehwild (allein auf die Jagd bezogen) eine ausreichende Absenkung der Dichte in der Jagdzeit, eine Schwerpunktbejagung auf den Verjüngungsflächen und unterstützend in besonderen Brennpunkten das Nutzen der Schonzeitaufhebung im April.
Die zeitliche Begrenzung bis 2025 wurde bewusst eingeführt, da nach jeder Sukzession die ersten Monate entscheiden.
Die Daten wurden von der Oberen Jagdbehörde zur Verfügung gestellt. Die Datenlieferung durch die Kreise macht auch deutlich, dass die Kreisverwaltungen gut beraten sind, angesichts der
aktuellen Gefahren die Ressourcen der Unteren Jagdbehörden zu erhöhen. 2020 hatten 18 Kreise die Strecken im April nicht gemeldet, 2021 waren es immerhin noch 7.
Die Entwicklung der Gesamtstrecke (Anstieg von mehr als 10 Prozent gegenüber 2020/21) weist darauf hin, dass der Apell, Rehe intensiv zu bejagen, in der Jägerschaft angekommen ist.
Der verhältnismäßig geringe Anteil im April erlegter Rehe lässt darauf schließen, dass einzelne Eigentümer wesentlich das Gesamtbild prägen – der Regierungsbezirk Detmold steht auf Platz 1, gefolgt von Köln, Arnsberg, Münster und Düsseldorf. Die Aprilbejagung wird offensichtlich dort genutzt, wo sehr große Kalamitätsflächen vorherrschen und die Waldentwicklung bei Null startet. In der jetzigen Situation zahlt sich eine vorausschauende Waldentwicklung aus, Fichtenbestände, die man schon in den vergangenen Jahren mit Buchen unterbaute, bieten nach
Katastrophen bessere Startchancen.
Eine Analyse der Rehstrecke ergibt folgendes Bild: Die Gliederung der Gesamtstrecke bezogen auf soziale Altersklassen ist vergleichbar und mit etwa gleich hohem Anteil bei Schmalrehen und Jährlingen auch plausibel.
In der Schonzeit entfallen 2019/20 auf alte Böcke 30 Prozent, 2020/21 nur noch drei Prozent. Unter der Annahme, dass sich die Jagd in der Schonzeit auf Schwerpunktflächen konzentriert, kann eine Ursache sein, dass tatsächlich Böcke ab vier Jahren aufwärts seltener geworden sind.
Als weiterer Faktor kommt jedoch auch das richtige oder falsche Ansprechen erlegter Böcke dazu.
Die landesweite Zahl im April erlegter Rehe ist mit 3 612 (2021) und 2 142 (2020) gering. Erwartungsgemäß liegt der Schwerpunkt bei den Böcken.
Was man sich überlegen sollte
Unter eher traditionellen Jägern hört man gegen die April-Bejagung von Rehen immer wieder die gleichen „Argumente“:
1. Ich schieße keinen Bock,
der noch nicht verfegt hat.
2. Ich schieße kein Reh,
das noch nicht verfärbt ist.
3. Rehe haben sowieso schon eine
zu lange Jagdzeit, da muss man
nicht auch noch im April los.
Das hört sich alles recht plausibel an ... könnte man meinen, doch erst auf den zweiten Blick wird ein Schuh daraus:
Wildunfall-Statistiken lügen nun einmal nicht – und danach kommt es eben gerade im zeitigen Frühjahr zu einer signifikanten Zunahme von Unfällen mit Rehen im Straßenverkehr. Das hängt v. a. mit dem Territorialverhalten unserer Hauptschalenwildart zusammen. Bei den in dieser Zeit ausgeprägten Einstandskämpfen werden schwächere Böcke von dominanten Verwandten gnadenlos in suboptimale Außenbezirke verdrängt ... was oft genug im Straßenverkehr endet. Insofern bietet eine frühzeitige Bejagung im April (an und um Kalamitätsflächen – und nur dort !) auch die Chance, etliche Rehe sinnvoll zu nutzen – anstatt sie verludert aus dem Straßengraben zu klauben ...
Ob solche Stücke schon verfegt bzw. verfärbt sind, darf dabei keine Rolle spielen – so ist es für halbwegs versierte Präparatoren überhaupt kein Problem, Trophäen von Bast-Böcken so herzurichten, dass man kaum erkennt, dass die noch gar nicht verfegt hatten.
Bei Schmalrehen kommt ein Weiteres hinzu: Durch die immer früher hochwachsende Vegetation wird ihre Bejagung im Mai zur jagdpraktischen Königsdisziplin. Denn das einzig sichere Ansprache-Kriterium (freier Blick von hinten durch die Keulen) entfällt hierzulande schon immer häufiger ab der 2. Mai-Woche. Dann doch lieber im April mit anschließender Jagdruhe von Mitte Mai bis Mitte Juli – so geht waidgerecht !
Zuletzt noch ein abschließender Blick in die Rehwild-Biologie dieser Jahreszeit: Von großer Bedeutung für klima-stabilere Wälder der Zukunft ist die Baumart Douglasie, v. a. auch, weil sich ihr Holz wie das unserer bisherigen Brotbaumart Fichte für konstruktive Zwecke gut eignet. Fatalerweise stehen aber gerade sie im zeitigen Frühjahr auch bei Böcken hoch im Kurs – diese werden zum Verfegen von den aromatisch duftenden Douglasien magisch angezogen. Wie soll man das (ohne Zäune) mit der klassischen Mai-Bejagung, dann verfegter Böcke, verhindern ... das geht nur im April !
Fazit: Das Engagement der Jäger konzentriert sich offensichtlich auf die Erhöhung des Gesamtabschusses insgesamt. Von daher ist eine Beschränkung der Aprilbejagung auf besonders schwierige Verjüngungsbedingungen nachvollziehbar. Dass eine gelungene Wiederbewaldung integrierte Konzepte erfordert, ist unbestritten. Dennoch stehen auch und gerade Jäger in der Verantwortung, durch eine an der Verjüngungssituation orientierte, wildtiergerechte Bejagung dafür zu sorgen, dass die Wiederbewaldung gelingt.
Eine Anpassung des Wildbestandes, d. h. vielfach eine vorübergehende Absenkung ist notwendig. Eine intensivere Bejagung und die Beachtung der Stoffwechsellage sind vielerorts vereinbar. Wo es notwendig ist, bietet die Aprilbejagung ein zusätzliches Zeitfenster.
Dr. Michael Petrak, Alexander Klug