Ärger droht – nicht nur bei Vorsatz
Vor dem ersten Grasschnitt beschäftigt alljährlich Jäger und Landwirte die Rettung von Kitzen und Bodenbrütern vor den Mähmaschinen. Was passiert, wenn es dabei Landwirte, Lohnunternehmer und Jäger mit dem Tierwohl nicht so genau nehmen, Fürsorgemaßnahmen unterlassen und Wild getötet wird?
Vor der Mahd gehen Jäger mit gut geführten Hunden oder solo Felder ab. Noch während der Mahd laufen sie in der Spur der Erntemaschinen voraus, um Wild zu retten. Sie umstellen mähreife Schläge mit glitzernden Reflektoren, hängen knisternde Folien auf und installieren akustische Signalgeber. Neuerdings fliegen sie mit Wärmebildkameras an Drohnen an kühlen Morgen, an denen Temperaturunterschiede zum warmen Wildkörper ausreichen, über zu mähende Flächen.
Auch Landwirte helfen mit – sie sorgen schon am Tag vor der Mahd für Beunruhigung, indem sie vorsichtig erste Schneisen mähen, verständigen Jagdausübungsberechtigte frühzeitig und gestatten Vergrämungsmaßnahmen an Feldrändern. Aus Rücksicht auf manche Wiesenbrüter mähen sie erst zu einem späteren Zeitpunkt. Sie verringern ihre Fahrgeschwindigkeit, sie halten den Mähknigge ein und mähen Flächen ab 1 ha von innen nach außen (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 Landesnaturschutzgesetz NRW, außer bei stark abschüssigem Gelände). Neuerdings investieren sie fünfstellige Beträge, um Mähwerke mit einem optischen Sensorbalken auszustatten, der die Maschine automatisch anhebt, wenn ein Tier im Weg liegt (RWJ 5-21). Soweit der Idealzustand.
Fast 100 000 tote Kitze pro Jahr
In Deutschland kommen nach konservativer Schätzung (hohe Dunkelziffer) der Deutschen Wildtierstiftung bei der Mahd jährlich vier Kitze auf 100 ha Grünland ums Leben, bei 2,3 Mio. ha Grünland sind dies bundesweit jährlich 92 000 Kitze – eine dramatische Zahl, die auch die Justiz aufhorchen lässt, die bei Verurteilungen wegen Tierquälerei sogar schon auf 1 Jahr Freiheitsstrafe zur Bewährung erkannte (AG Wolfach, 1 Cs 301 Js 9380/13, bei Übermähen von 2 Kitzen) und regelmäßig zwischen 50 und 100 Tagessätze (TS) Geldstrafe verhängte (AG Hadamar, 1 Ds - 3 Js 12550/03, 80 TS Geldstrafe für 6 tote Kitze/AG Weilheim, 2 Cs 12 Js 17946/09 für 3 tote Kitze 70 TS Geldstrafe für den Landwirt, 50 TS für den Lohnunternehmer). Dazu wurden Landwirte, die nicht alles Zumutbare gegen das Ausmähen von Kitzen unternahmen, zu Schadenersatz wegen Verletzung des Aneignungsrechts des Jagdausübungsberechtigten verurteilt. Dabei wurde mit 680 € pro Kitz der Zuchtwert (Kosten zur Beschaffung eines Lebendtieres) zugesprochen, also nicht lediglich der Wildbreterlös (LG Trier, 1 S 183/04).
Recht haben – und es bekommen
§ 17 Tierschutzgesetz untersagt, vorsätzlich Wirbeltiere ohne vernünftigen Grund zu töten. Für Jäger folgt aus § 1 Bundesjagdgesetz dazu die Pflicht, Wild zu hegen und sich waidgerecht zu verhalten. Doch Jäger werden wegen unterlassener Kitzrettung kaum verurteilt. Die Todesgefahr geht vom Mähwerk aus und dies bedienen Landwirte/Lohnunternehmer und nicht Jäger. Sie verursachen den Tod unmittelbarer und wissen, dass auf Mähflächen der Jahreszeit gemäß Wildtiere liegen könnten, weil dies in der Vergangenheit bereits vorkam – und nehmen Mähverluste billigend in Kauf. Wer nicht wenigstens eine bekannte Vorsichtsmaßnahme trifft, dem wird der Tod von Wildtieren täterschaftlich zugerechnet. Kam es in der Vergangenheit zu Verurteilungen wegen Tierquälerei, lag das nicht daran, dass Angeklagte den Tod des Wildtieres wollten. Vielmehr ergab i. d. R. die Beweisaufnahme, dass Umstände bekannt waren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Ausmähen von Kitzen führen ... und man dennoch munter drauflos mähte.
Bisher gibt es keine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, angesichts zunehmender technischer, teilweise äußerst kostspieliger Möglichkeiten, den Mähtod von Wildtieren zu verhindern, wären Urteile interessant, die die Zumutbarkeit dazu nötiger Vorkehrungen thematisieren. Mähen von der Feldmitte nach außen kostet nicht mehr, doch muss ein Mähwerk künftig über einen teuren Sensorbalken verfügen, um Verurteilungen wegen Tierquälerei zu vermeiden ?
Es bleibt – wie immer in der Juristerei – spannend !
Dr. Susanne Selter, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Strafrecht, Bochum