Rehe richtig jagen

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Rehe richtig jagen

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Jagdpraxis-Chefredakteur Matthias Kruse hat sich Gedanken darüber gemacht, wie man mehr Rehe erlegt – in weniger Zeit und mit weniger Stress. Ein Kommentar.

Die deutschen Rehwild-Strecken haben sich auf Millionen-Niveau eingependelt – vor dem flächigen Absterben der Wälder in den letzten zwei Jahren wohlgemerkt. Angesichts der anstehenden Mammut-Aufgabe, diese riesigen Flächen wieder zu bewalden, stehen alle Beteiligten vor großen Herausforderungen.

Wie organisiert man dort (befristet) höhere Abschüsse ohne mehr Stress für Wild und Jäger? Bei der Bejagung von Rehen wissen allein in Nordrhein-Westfalen mindestens 90.000 Leute ganz genau, wie man‘s richtig macht ... bzw. besser machen müsste.

Genau wie 80 Mio. verkappten Fußball-Bundestrainern (die‘s einfach besser wissen als Jogi), macht keinem Jäger einer was vor, wenn‘s um den Hirsch des kleinen Mannes geht.

Jagdliche Zielkonflikte
Kommt nur drauf an, was man genau will: Wie bekomme ich in meinem Revier möglichst starke Trophäen, möglichst starkes Wildbret-Gewicht, möglichst wenig Knopfböcke und Fallwild, genügend Rehe, damit ich mir welche aussuchen kann, möglichst wenig Wildschaden – oder von allem ein bisschen was ?

Aber ohne in die Bewirtschaftungs­frei­heit der Revierinhaber eingreifen zu wollen, muss man all‘ diesen Ansätzen die Rea­lität im Frühjahr 2020 gegenüberstellen.

1. Noch nie gab‘s so viele Rehe
2. Wir brauchen aber gerade deutlich mehr auf der Strecke

Ausrottung droht nicht
2018/19 kamen allein in Nordrhein-Westfalen knapp 100.000 Rehe zur Strecke. Seit es solche Statistiken überhaupt gibt, gab es bei uns noch nie so viele. Genau daran sollte man in diesen Tagen jene erinnern, die immer noch gebetsmühlenartig vor der „Ausrottung“ der Rehe warnen ...

Aus Verantwortung und Solidarität gegenüber den Waldbauern haben sich die Jäger in Nordrhein-Westfalen verpflichtet, in den nächsten fünf Jahren durch eine spürbare Erhöhung der Reh-Abschüsse dafür zu sorgen, dass auf den riesigen Kahlflächen der Wald der Zukunft entstehen kann.

Vor diesem Hintergrund reduziert sich die Maxime bis 2024 auf eine einzige Frage – wie bekomme ich rund um diese Flächen deutlich mehr Rehe zur Strecke ? Schon das allein hört sich auf den ersten Blick nach einer unlös­baren Aufgabe an – wo wir doch schon in den letzten Jahren so viele erlegt haben ...

Wann, wo – und wie
Es versteht sich von selbst, dass man speziell an frisch aufgeforsteten Flächen intensiv ansitzen muss – wo das nicht schon im April passiert ist, spätestens in diesen Wochen.

Erinnern Sie sich noch an Zeiten, in denen Jungjäger „erst mal fünf Knopfer“ beibringen mussten, bevor sie einen „richtigen“ Bock frei bekamen? Oder kennen Sie Jäger, die Rehe generell erst erlegen, wenn sie rot sind, also der Haarwechsel abgeschlossen ist?

Solche Jäger und ihre Gäste wundern sich kurz darauf, wenn an den schönen langen Wochen­enden im Juni und Juli „auf einmal alle Rehe weg sind“ ... Mir haben auch schon Jagdfreunde glaub­haft versichert, in ihrem ganzen Leben noch nie ein Schmalreh erlegt zu haben – erst recht nicht im Frühjahr, denn die bringen zur Blattzeit bekanntlich die Böcke her ...

Beschlagene Ricke im Frühjar (Foto: pixabay.com).
Ricken und Schmalrehe lassen sich im Jahresverlauf niemals besser ansprechen als im zeitigen Frühjahr.

 

Intensiv statt dauernd
Daneben kenne ich nur wenige Reviere, in denen ab Anfang September konsequent Kitz-Ricke-Dubletten zur Strecke kommen, selbst wenn die Kitze dann noch relativ schwach sind.

All diese „Baustellen“ sind aber Steilvorlagen, an denen wir gerade in den nächsten Jahren unsere Jagdstrategien optimieren können. Niemals mehr als jetzt – Anfang Mai – ist die Aktivität der Jährlingsböcke so hoch. Von der Ricke nicht mehr geduldet, geraten sie unter den Druck der territorialen Altböcke – und enden leider viel zu häufig auf der Straße.

Erlegen wir sie doch – so viele, wie wir kriegen können.
Wer seine Rehwild-Dichte senken will (derzeit muss), kommt an Schmalrehen kaum vorbei. Besser als jetzt (außer im April) kann man weibliche Einjährige nicht von hochbeschlagenen oder führ­en­den Ricken unterscheiden.

Königsdiziplin
Selbstverständlich muss der Finger so lang gerade bleiben, bis die Situation einen sicheren Blick von hinten zwischen die Keulen erlaubt. Daher ist der Schmalreh-Abschuss im Frühjahr auch nichts, was man unerfahrenen Mitjägern über­lässt, sondern die Königsdisziplin im Rehwild-Revier.

Nichts spricht aber dagegen, Grund­regeln des sicheren Ansprechens auf gemeinsamen Ansitzen mit Unerfahrenen an diese weiter­zu­geben (wo das auf entsprechenden Einrichtungen in diesen Zeiten mit aus­reichend Abstand möglich ist).

Nutzen Sie die noch vergleichsweise niedrige Vegetation zur sicheren Unter­scheidung. Achten Sie bei Ricken, die kurz zuvor gesetzt haben, auf das sog. „Warn-Dreieck“ (wie Bruno Hespeler plastisch die eingefallenen Flanken unmittelbar nach dem Setzen nennt).

Jährlinge und Schmalrehe im Fokus
Die Aktivitäts-Rhythmen von Rehen sind bestens erforscht. Jetzt im Mai sind sie sehr aktiv – bedingt durch die dringend benötigte frische Äsung und diverse soziale Scharmützel.

Wir können es uns nicht leisten, diese Phase hoher Aktivität nicht zu nutzen, nur weil ein passendes Stück vielleicht noch nicht ganz durchgefärbt ist! Jeder Jährling und jedes Schmalreh, die wir sicher ansprechen können, sollte im Mai auch erlegt werden.

Jährling im Bast
Dieser Jährling wurde noch im Bast erlegt. Für viele Jäger eine fragwürdige Jagdpraxis. Dennoch gibt es gute Gründe, auch solche Böcke zu erlegen.

 

Denn danach kommen sechs Wochen, in denen die Aktivität schlagartig nachlässt und die Unterscheidung Schmalreh-Ricke oft unmöglich wird – Grund für den Gesetzgeber u. a. in Nordrhein-Westfalen, die Schmalreh-Jagdzeit Ende Mai zu beenden.

Jagdruhe bis zur Blattzeit
Daher sollte man bis auf unvermeidbare Sau-Ansitze dann auch jede Reh-Bejagung einstellen – Jagdruhe bis Mitte Juli ist dann das Zauberwort. Dafür müssen dann aber auch die Waldbesitzer Verständnis zeigen.

Nach drei Wochen Blattzeit sollte bis Anfang September eine weitere Phase der Jagdruhe erfolgen. Ab Anfang September sollte man inten­siv versuchen, Kitz-Ricke-Dubletten zu erlegen.

Schalldämpfer nutzen
Vor allem dabei kommt uns eine neue Möglichkeit zugute, die nicht nur unsere Ohren schont, sondern in solchen Situationen viel öfter zum Erfolg führt – Schalldämpfer. Diese Helfer führen signifikant häufiger dazu, dass Ricken Schüsse, mit denen man das Kitz erlegt, nicht richtig „zuordnen“ können und damit recht einfach eben­falls zur Strecke kommen – probieren Sie‘s selbst mal aus!

Immer mehr Rehe, die immer unsichtbarer werden
Neben Klassikern, deren Forschungen bis heute als Richtschnur im Rehwild-Revier gelten können und deren Studium ich Ihnen ans Herz lege (H. Ellenberg, ­F. Kurt, H. Wölfel, W.-E. Müller, B. Hespeler, Herzog A. v. Bayern) lässt derzeit der junge westfälische Wildbiologe Robin Sandfort (Uni Wien) mit interessanten Telemetrie-Studien zu Verhalten und Bejagung von Rehen aufhorchen.

Ausgangspunkt seiner Untersuchungen ist die Beobachtung, dass es immer mehr Rehe gibt, aber diese oft geradezu unsichtbar sind.

Seine Ergebnisse kompakt verdichtet (erhöhte Sichtbarkeit führt zu attrak­tiver und effizienter Jagd, freier Handlungsspielraum des Jägers, höhere Sichtbarkeit des Wildes führt zu erhöhter Jagdakzeptanz in der Öffentlichkeit, konsequente Intervall­bejagung und Einhaltung von Jagd­ruhe auf alle Wildarten wo möglich, Be­jagung nur, wenn Erfolg auch möglich ist, Variation des Jagddrucks durch Schaffung alternativer Jagdplätze, Pirschstrecken u. Schneisen) unterstreichen die hoch sinnvolle Kombina­tion von Schwerpunkt- (an Aufforstungen) und Intervall-Bejagung.

Forstkultur im April
Im zeitigen Frühjahr ist die Jagd an Forstkulturen durchaus erfolgversprechend. Im weiteren Jahresverlauf wird die Vegetation dichter und das Wild bis zur Blattzeit heimlicher.

 

Pausen gönnen
Wer auf den ersten Blick zurecht die lange Jagdzeit auf Rehe beklagt, unterschlägt etwas ganz Entscheidendes:
Die gesetzliche, sehr lange Rahmen-Jagdzeit (April bis Januar) bedeutet noch lange nicht, dass wir den Rehen auch acht Monate lang pausenlos nachstellen sollten! Wer dagegen „sein“ Wild nach dem sog. Rehwild-Kalender (W.-E. Müller) bejagt, also übers Jahr immer wieder wochenlange echte Jagdruhe einhält (= Rehe können unbeschossen und unbeobachtet auf Äsungsflächen austreten), der zeigt nicht nur, dass er Lebensweise und Ansprüche dieser faszinierenden Wildart begriffen hat, sondern kann so in kürzerer Zeit auch seine Effektivität spürbar steigern.

Machen Sie mit – und erlegen so bis zum Ende des Kalenderjahres (danach soll bis April Ruhe sein !) erkennbar mehr Rehe – und zwar schneller und waidgerechter.
Denn genau das ist derzeit unser Auftrag. Gesetzgeber und „interessierte Kreise“ werden mit Argusaugen darauf achten, ob und wie wir das hinkriegen. Wir können das schaffen!

Quellen
Die erwähnten Klassiker findet man bei Amazon oder Google. Hier die Kontaktdaten von Robin Sandfort:
Universität für Bodenkultur Wien, Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft, E-Mail: robin.sandfort@boku.ac.at, www.sandfort-nature.com/rehprojekt, www.iwj.at, www.wildbiologie.org