Schäden ohne Ende
Über 10 Jahre erforschte im Kreis Wesel eine seltene Gemeinschaft von Jägern, Vogelschützern und Land-wirten die Auswirkungen immer massiverer Schäden durch brütende Gänse in der Kulturlandschaft. Nach dem Auslaufen staatlicher Förderprogramme ist es Zeit für ein ehrliches Zwischenfazit.
Für ein nachhaltiges Management der Gänsepopulationen am Niederrhein wurden 2012 dringend wissenschaftlich belastbare Daten über Art und Umfang der gemeldeten Schäden, Größe und Entwicklung der hiesigen Brutpopulationen von Grau-, Kanada-, und Nilgans, deren Lebensweise und Wanderverhalten sowie Reproduktion und Mortalität benötigt. Dazu sollte eine Zählgruppe aus ortskundigen Vogelkundlern, Jägern und Landwirten gemeinsam Daten über Sommergänse sammeln. Ziel des Projektes war ein nachhaltiges Management mit strategischen Maßnahmen zur sachgerechten Hege und Bejagung heimischer Gänse im Kreis Wesel mit landesweiter Bedeutung.
Bestandsmonitoring zur Sommergans-Erfassung
Für NRW lagen nur lückenhafte Daten vor, das Wasservogel-Monitoring konzentrierte sich vornehmlich auf arktische Wintergänse. Für brütende Gänse sind unterschiedliche Methoden erforderlich. Mittlerweile brüten Graugänse in Niederungen nahezu flächendeckend an Flüssen, Bächen, Gräben und Ufern von Seen, Teichen und Kleingewässern. Eine Erfassung während der Brutzeit (Februar-Mai) würde die Personalkapazität übersteigen und zu ungenauen Zahlen führen. Deshalb sollte man zählen, wenn sich nach der Brut größere Gruppen mit/ohne Jungvögel(n) an Gewässern sammeln (Juni bis August).
Weil Kanadagänse regional relativ konzentriert in unmittelbarer Nähe von Gewässern (März bis Juli) brüten, ist eine Bestandserfassung während der Brut mit vertretbarem Aufwand möglich. Da Nichtbrüter von Anfang Juni bis Mitte Juli an störungsarmen Gewässern mausern und sich Familien im Juli ebenfalls auf den Gewässern konzentrieren, kann im Rahmen der Grauganserfassung an bedeutsamen Gewässern ebenfalls ein Großteil der Kanadagänse zuverlässig erfasst werden.
Die Nilgans kann bei geeigneter Witterung zu jeder Jahreszeit brüten (Schwerpunkt März bis Juni). Die Art ist im Flachland nahezu flächendeckend verbreitet. Die große Verbreitung, die lang gezogene Brutzeit und die hohe Variation der Neststandorte macht eine Erfassung während der Brutzeit extrem schwierig und personalaufwendig. Ab Juli halten sich Nilgänse vornehmlich auf abgeernteten Feldern auf und erreichen im November ein Maximum. Obwohl dies während der Wintergans-Erfassung lückenhaft ist, bieten Zählungen dann die besten Grundlagen für eine Bestandserfassung.
Daher sind für Sommergänse am Niederrhein die besten Erfassungstermine für Grau- und Kanadagans Mitte Juli und Nilgans Mitte November.
Gänsefang und -markierung
Mitte der 1960er-Jahre wurden an mehreren Stellen in den Niederlanden und NRW Graugänse ausgesetzt. Nach Anlaufschwierigkeiten verbreiteten sich diese Initialpopulationen, heute sind große Teile der Niederlande und Nordrhein-Westfalens wieder besiedelt. Mancherorts haben sich seitdem größere Mauserplätze gebildet, wie auf der Bislicher Insel (Xanten). Da in der Umgebung dort bedeutend weniger Graugänse brüten als mausern, müssen Vögel aus einer weiteren Umgebung hinzukommen. Es ist unbekannt, wo diese Vögel herkommen. Darüber hinaus gibt es keine Daten zu Flugbewegungen und Flugradius. Im Rahmen eines Projektes sollte eine größere Zahl Graugänse gefangen und markiert werden.
Erfassung von Schäden
Örtliche Klagen von Landwirten und Freibad-Betreibern über Gänseschäden häufen sich – verbunden mit der Forderung nach einer verstärkten Bestandsreduktion durch die Jagd, eine generelle Verlängerung der Jagdzeit bzw. örtliche Aufhebung der Schonzeit. Im Rahmen des Gesamtprojektes hat die Kreisbauernschaft zugesagt, gemeldete Schäden (Örtlichkeit, Art, Höhe) zu erfassen und zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung zu stellen.
Strategische Maßnahmen zu Hege- und Bejagung
Im Rahmen des Gesamtprojektes schulte die Kreisjägerschaft vor Ort Jagende zur Planung und Durchführung von Gänsejagden. Verschiedene Methoden wurden getestet und verglichen (Durchführbarkeit, Effektivität, Akzeptanz), mit örtl. Jägern diskutiert, ausprobiert und trainiert.
Wichtige Aspekte dabei sind: Örtlichkeit (Gewässer, Gewässerufer, Nahrungsplatz), Lockmittel (Kirrung mit Mais bzw. Getreide, Lockbild mit Lockvögeln, Lockrufe), Tarnung (Gänseschirm, Gänseliege, Tarnhütte, Tarnkleidung), Waffe und Munition.
Neben der Hege der Bestände mit der Waffe sollen auch klassische Methoden zur Hege der Brutbestände gesammelt, analysiert und umgesetzt werden. Hegemaßnahmen sollten bestandssichernd (nicht bestandsfördernd) wirken.
Berufsjäger als Moderator
Als Projektmoderator von Anfang an dabei war Berufsjäger Konrad Niehues. Seine Aufgaben waren umfangreich:
• Sammlung, Analyse und Dokumentation zu Art und Umfang gemeldeter Schäden
• Bereisung des Erfassungsgebietes und kartografische Darstellung einer verbindlichen Gebietsabgrenzung
• Koordination der Projekt-Aktivitäten der KJS mit denen der Biologischen Station, des ehrenamtlichen Naturschutzes und Landwirtschaft im Kreis Wesel
• Kooperation bei Fang und Markierung
• Entwicklung sachgerechter Bejagungsmethoden und Hegemaßnahmen
• Professionalisierung der Bejagung durch Unterstützung bei Planung und Durchführung von Gänsejagden
250 000 € aus Jagdabgabe
Von 2013 – 2023 wurde das Projekt aus Mitteln der Jagdabgabe mit rund einer Viertelmillion Euro unterstützt. Ausgangspunkt dafür war die Tatsache, dass Schäden durch Wintergänse generell betroffenen Bauern aus Landesmitteln ersetzt werden – Schäden durch Sommergänse hingegen nicht. Die heutige Situation ist so, dass sich gerade Schäden durch Sommergänse exponentiell steigern – rund ein Drittel des Flächenkreises Wesel ist davon betroffen ... Tendenz weiter steigend.
Fraß und Verkotung lassen sich durch klassische Vergrämungsmethoden nicht in den Griff bekommen – so wirken etwa Flatterbänder oder Knallautomaten so gut wie gar nicht. Einzig probates Mittel bleibt daher die letale Vergrämung – sprich der Abschuss einzelner Gänse im Frühjahr. Doch da fängt das Problem an – die reguläre Jagdzeit beginnt mit dem 16. Juli dafür natürlich viel zu spät.
Nötig sind nach Ansicht der Experten aus Wildbiologie und Landwirtschaft flächige Ausnahmegenehmigungen ab April. In der Vergangenheit nur sehr mühsam und flächenscharf (also nicht einmal bezogen auf ein Gemeindegebiet!) zu erhaltende Allgemeinverfügungen (meist auf nur 14 Tage befristet) sind dazu wenig hilfreich. Wenn betroffene Landwirte aber mit ihren Schäden allein gelassen werden, droht am Niederrhein eine schleichende Umstellung der Fruchtfolge – von schaden-anfälligem Getreide hin zu Mais. Zu dieser weder von Politik noch Naturschutz gewünschten Ausweitung der Gülle-Palmen würden betroffene Landwirte als Reaktion der Hilflosigkeit quasi gezwungen – so das Fazit der Weseler Kreisbauerschaft.
Jagdzeiten-Verordnung ändern
Die im Raum stehende Lösung wäre einfach: Zur effektiven Bekämpfung der massiven Schäden durch Sommergänse braucht es nach Ansicht der Experten aus Naturschutz, Jägern und Landwirten eine Änderung der Landesjagdzeiten-Verordnung: Demnach müsse es (zumindest im gesamten Kreis Wesel) möglich sein, von April bis zum Aufgang der regulären Jagdzeit Mitte Juli Graugänse durch Abschuss von Schadflächen zu entnehmen.
Entscheidende Voraussetzung – und damit die Schlüsselfrage zur Abwendung von Schäden – ist die Möglichkeit der sicheren Unterscheidung von brütenden und nichtbrütenden Gänsen.
Dass dies SICHER möglich ist, belegen langjährige Untersuchungen des führenden Gänse-Experten am Niederrhein – des Wildbiologen und Jägers Dr. Johan Mooij (s. S. 24). Matthias Kruse