EU-Bleischrot-Verbot in Kraft: Viele offene Fragen

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EU-Bleischrot-Verbot in Kraft: Viele offene Fragen

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Ende dieser Woche findet in Nürnberg die europäische Leitmesse für Jagd- und Sportwaffen, Optik, Ausrüstung und Munition (IWA) statt. Dabei geht es normalerweise um interessante Neuheiten aus all diesen Bereichen, doch in diesem Jahr wird die IWA überlagert von den Konsequenzen einer „einsamen“ EU-Entscheidung, nach der ab Mitte Februar quasi die Verwendung von Bleischrot-Munition im Jagdbetrieb weitgehend verboten ist. Am Rande der Waffenmesse wird daher mit Hochdruck darüber diskutiert, wie man deutschen Jägern Antworten auf zahlreiche bislang ungelöste Fragen liefern kann – und zwar rechtzeitig zum Beginn der neuen (Flinten)Jagdsaison im Herbst:

Durch die sogenannte REACH-Verordnung hat die EU den Einsatz (ja selbst das Mitführen!) bleihaltiger Schrot-Munition „an und um Feuchtgebieten“ verboten. Und zwar mit unmittelbarer Wirkung – den Mitgliedsstaaten wurden keinerlei Einflussmöglichkeiten gegeben.

In den Innen- und Umweltministerien der Bundesländer wird derzeit fieberhaft darüber nachgedacht, was „an und um Feuchtgebiete“ wohl im Detail bedeutet. Darüber wird gesondert zu berichten sein. Hier geht es um waffen- und tierschutzrechtliche Konsequenzen dieser Vorgabe mit Gesetzeskraft.

Wichtigste Voraussetzung – tierschutzgerechte Tötungswirkung

Bei der Suche nach Alternativen zu bislang üblichem Bleischrot drängt sich eine Fülle von Fragen auf … die man auf eine Einzige verdichten könnte: „Was soll ich denn stattdessen ab Herbst zur Jagd einsetzen?“

Die Frage hört sich einfach an – die Vielzahl von Antworten ist es sicher nicht. Für Jäger von elementarer Bedeutung ist vor allen anderen Faktoren (Verfügbarkeit, Preis, Toxizität, Umweltbilanz, potenzielle Beschädigung von Flinten bzw. Würgebohrungen) die Tötungswirkung, also der tierschutzgerechte (in der Jägersprache „waidgerechte“) Einsatz von Blei-Alternativen bei der Flintenjagd.

Auch wenn es zur Wasserwild-Jagd seit Jahren Alternativen gibt, hat die Masse der Jäger damit bis heute weitgehend keine Erfahrungen. Die bislang verwendeten Materialien (Zink, Weicheisen, Kupfer, Wismuth, Thungsten u. a.) haben alle unterschiedliche Vor- und Nachteile.

Entscheidendes Kriterium muss die Tötungswirkung sein – doch dazu liegen derzeit viel zu wenig belastbare Vergleichsstudien vor. Das beginnt schon mit der Frage, wie man denn die Tötungswirkung von Schrotmunition überhaupt messen bzw. simulieren kann. Bei Büchsenmunition sind solche Verfahren längst Alltag – man beschießt mit blei- oder nicht-bleihaltigen Geschossen sog. „ballistische Zielmedien“, die wissenschaftlich anerkannt einem Wildkörper ähneln. Dazu verwendet man entweder eine bestimmte Form von Gelatine oder ballistische Seife. Aus Eindringtiefe, Form und Dimension der dabei (immer wieder gleich = reproduzierbar) auftretenden Kavernen lassen sich belastbare Aussagen zur Tötungswirkung von Jagdgeschossen ableiten.

Mit Schrotpatronen entfällt diese Methode. Wie man aus Zeiten der Jägerprüfung weiß, ergibt sich die Tötungswirkung beim Schrotschuss nicht aus der Verwundung/Beschädigung/Zerstörung lebenswichtiger Organe, sondern aus dem sogenannten „hydraulischen Schock“: Damit wird ein schneller Kreislauf-Tod beschrieben, der sich beim „Auftreffen“ einer genügenden Anzahl von Schroten auf dem Wildkörper einstellt. Die dazu nötige sogenannte „ausreichende Deckung“ ermittelt man mit dem Beschuss der sogenannten 16-Felder-Scheibe (im Volksmund auch „Hasenscheibe“ genannt).

Jedenfalls mit Bleischrot.

Der analoge Beschuss dieser Scheibe mit Alternativ-Schroten liefert vielleicht belastbare Aussagen zur Deckung – aber keinesfalls zur Tötungswirkung.

Denn zum Erreichen des „hydraulischen Schocks“ ist ja nicht allein eine Menge von Schrotkörnern auf einer definierten Fläche nötig, sondern diese Schrote müssen ja auch mit einer ausreichenden Energie im Ziel ankommen. Und zur Messung dieser Energie sind bisher nahezu keinerlei (vergleichende) Versuchsaufbauten bekannt. Aber die wird man brauchen.

In einem ersten Schritt wird es sicher darum gehen müssen, die bewährte Tötungswirkung leistungsfähiger Bleischrot-Munition (z. B. „Schwarze Waidmannsheil“ o. Ä.) in einem wie auch immer definierten Versuchsaufbau als Maßstab (= 100 Prozent) zu setzen …, um dann mit Alternativ-Munition verschiedenen Materials, Pulver und Schrotstärke möglichst nahe an diese 100 Prozent heranzukommen.

Der Teufel liegt im Detail

Im Einzelnen wird man in den nächsten Monaten eine Fülle von Versuchen durchführen müssen, damit die Jäger mit wirklich sauber tötender Alternativmunition in die Jagdsaison 2023 starten können:

  • Welches Alternativ-Material hat welche Vor- und Nachteile?
  • In welchen Schrotstärken sollte diese Munition jagdlich eingesetzt werden?
  • Auf welche Distanz ist eine ausreichende Tötungswirkung sicher gegeben?
  • Welche Alternative darf aus nicht „stahlschrot-beschossenen“ Flinten bzw. Würgebohrungen (Chokes) überhaupt verschossen werden – und welche auf gar keinen Fall?
  • Darf mit Alternativ-Schrot generell auf jagdlichen Schießständen geübt werden?
  • Was kosten jagdlich zu empfehlende Alternativ-Schrotpatronen im Vergleich zu Bleischrot?
  • Wird solche Munition im Spätsommer 2023 in ausreichender Menge (inkl. Übungsbedarf) überhaupt zur Verfügung stehen?

Für Expertenrunden (auch schon auf der IWA) gibt es in den nächsten Wochen wahrlich eine Menge zu tun – wir werden Sie über (Zwischen)Ergebnisse aktuell auf dem Laufenden halten.

Autor: Matthias Kruse

Alternative Schrotmunition (hier aus Kupfer) gibt es schon länger – ob und unter welchen Voraussetzungen solche Munition (aus welchen Flinten?) im Jagdbetrieb eingesetzt werden darf … dazu fehlen saubere, wissenschaftlich reproduzierbare Vergleichstests.
Alternative Schrotmunition (hier aus Kupfer) gibt es schon länger – ob und unter welchen Voraussetzungen solche Munition (aus welchen Flinten?) im Jagdbetrieb eingesetzt werden darf, dazu fehlen saubere, wissenschaftlich reproduzierbare Vergleichstests.